Vortrag von Armin Paul bei der Eröffnung der Ausstellung „200 Jahre Raiffeisen – Vereinigte Volksbank Maingau, damals und heute“

Sehr geehrte Dame und Herrn,

im Namen des Vorstandes des Heimat- und Geschichtsvereins begrüße ich Sie ganz herzlich zu unserer Ausstellungseröffnung „200 Jahre Raiffeisen – Vereinigte Volksbank Maingau, damals und heute“.

Erlauben Sie mir als Vorsitzenden des HGV einen kleine Blick in die Geschichte des 19. Jahrhunderts.

Nach der Chronik der Volksbank Hausen hat sich im Jahr 1873 eine Genossenschaft gegründet, die beim Amtsgericht unter dem Namen „Spar- und Hülfskasse“ – etwas später dann als „Spar- und Darlehnskasse Hausen“ geführt wurde. (In Obertshausen war dies parallel fast zur gleichen Zeit, ihm Jahr 1871, der Fall). Gegenstand des Unternehmens war es, seine Mitglieder durch die Anlage von Ersparnissen und die Vergabe von Krediten zu fördern. Die Spar- und Darlehnskasse Hausen war Mitglied im Landesverband der Hessischen landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften, zu dessen Gründervätern u.a. Friedrich Wilhelm Raiffeisen gehörte.

Diese Epoche wird auch die Zeit der industriellen Revolution genannt, in der sich das Unternehmertum sehr rasant entwickelte. Es entwickelte sich aber auch eine Arbeiterklasse, die durch die neuen Unternehmen stark ausgebeutet wurde und oft in schwerer Armut lebte. Die daraus entstandenen Konflikte versuchte man auf recht unterschiedliche Art zu lösen. Als Beispiel sind hier die Namen Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Karl Marx zu nennen, die sogar im gleichen Jahr – 1818 – geboren wurden. Auf der einen Seite der Sozialreformer Raiffeisen, der in einem ev. Pfarrhaus geboren wurde und dessen Menschenbild vom christlichen Glauben geprägt war und auf der anderen Seite der Sozialrevolutionär Karl Marx, dessen Lösungsvorstellungen der damaligen Zustände in einen gewaltsamen Klassenkampf mündete.

In Hausen und Obertshausen wurden Raiffeisens Idee eines solidarischen Prinzips durch die Spar- und Darlehnskasse umgesetzt. Hier sollte der verarmten Landbevölkerung über die Gewährung von Kleinkrediten, die sie sonst nicht, oder nur über Wucherzinsen bekommen hätten z.B. beim Häuserbau und bei Existenzgründungen geholfen werden. Wohlhabende Bevölkerungsgruppen standen dann als Geldgeber oder Bürgen für diese Kredite ein.

Hausen und Obertshausen war in dieser Zeit noch hauptsächlich landwirtschaftliche geprägt. Dies kann man an den beiden historischen Ortsplänen aus dem 19. Jahrhundert, die hier rechts an der Wand hängen, gut erkennen. Offenbach entwickelte sich in dieser Zeit aber schon zur Industriestadt und so war die industrielle Revolution auch in unseren beiden Orten schon deutlich spürbar.

In Offenbach fand man u.a. im aufstrebenden Lederwarenhandwerk neue Arbeit. Der tägliche Weg zur Arbeitsstätte war allerdings weit und somit der Arbeitstag lang und beschwerlich. So tat sich erst die Möglichkeit der Heimarbeit und später die Gründung eigener Fertigungsstätten auf. Um diese Existenzgründungen möglich zu machen, konnte die damalige Spar- und Darlehnskasse einen wertvollen Dienst leisten.

Meine frühsten Erinnerungen an die Volksbank wurde durch die Filiale in der Mühlstr. geprägt, in die mich meine Eltern immer mal mitnahmen. Ende der 1960er Jahre war sie noch in einem Provisorium, einem barackenartigen Gebäude, untergebracht. Dort bildeten sich besonders an den Freitagen lange Schlangen von Kunden, die hier ihr Gehalt abholten. Auch viele YMOS-Mitarbeiter nutzen diese Filiale für ihre Bankgeschäfte.

Neben diesen Massen an Kunden beeindruckte mich auch das viele Bargeld, das sich im offenen Schalterbereich neben den Bankmitarbeitern auftürmte. Bis in die 1970 Jahre wurde das Gehalt oft noch über die klassische Lohntüte, oder in einem wöchentlichen/zweiwöchentlichen Rhythmus über die Volksbank ausgezahlt. Meine Eltern machten „nebenher“ noch Heimarbeit. Auch hier gab es dann die wöchentliche Lohntüte. Der Lohn für die Hauptarbeitsstelle bei der Fa. Comtesse wurde aber schon auf das Konto bei der Volksbank überwiesen.

Heute sieht diese Welt allerdings ganz anders aus. Kleine Filialen, die sich über den Ort verteilten, gibt es schon einige Jahre nicht mehr. Wie man diese Woche in der OP lesen konnte, wird die Filiale in Lämmerspiel demnächst auf einen reinen SB-Betrieb umgestellt. Weiterhin geht auch der Zusammenschluss von Volksbanken in immer weitere Runden.

Das Kundenverhalten hat sich geändert. Etwa 70% der Kunden erledigen ihre Bankgeschäfte mittlerweile zuhause an ihrem Computer und diese Quote steigt jährlich an. Bleibt zu hoffen, dass die anderen 30% – hier besonders die ältere Bevölkerung – es lernt, sich in dieser neuen Welt zurecht zu finden. Ihre „normalen“ Bankgeschäfte weiterhin vor Ort erledigen können und auch ihr „Easy Credit“ zu günstigen Konditionen weiterhin vor Ort genehmigt wird.

Mein besonderer Dank gilt Herrn Wächtler von der VVB, der durch sein Engagement diese Ausstellung erst möglich gemacht hat.

Mein Dank geht auch an die Vorstandsmitglieder des HGV, Marga Gerlach und Jochen Roth, die mit Herrn Wächtler bei der Vorbereitung für diese Ausstellung eng zusammengearbeitet haben.

Und abschließend geht mein Dank auch an die Stadt Obertshausen, die uns die Stellwände für die Ausstellung kostenlos und zeitlich unbegrenzt zur Verfügung gestellt hat –  und an die Mitarbeiter des Bauhofes, für die Anlieferung und den Aufbau der Stellwände.