Von der Amtsstube bis zu den beiden Rathäusern – Teil 1: Die Zeit der Schultheiße

Im Sommer des Jahres 2021 war es scheinbar soweit. Die Stadtverordneten waren sich einig, dass das neue Rathaus in der Schubertstraße entstehen soll. Neuere Entwicklungen deuten allerdings an, dass sich alles auch nochmal ändern kann und so werden, bis der Neubau wirklich steht und seiner Bestimmung übergeben wird, sicher noch einige Jahre ins Land gehen, in denen die Stadt Obertshausen mit zwei Rathäusern leben muss. Bei der Diskussion über den Standort und die Funktion des neuen Rathauses ist sicher auch ein Blick in die Geschichte interessant, wie die beiden, damals noch eigenständigen Ort in früheren Zeiten verwaltet wurden.

Vom Mittelalter bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden von den jeweils Herrschenden sogenannten Schultheiße eingesetzt. Ihnen zur Seite standen Schöffen, deren Funktion in etwa den heutigen Gemeinderäten oder Stadträten vergleichbar war. Die Hauptaufgabe dieser Ortsvorsteher war es, die Schulden der Dorfbewohner einzutreiben. Daher leitete sich ihr Name von der alten Bezeichnung „Schuldheischer“ ab. Zur damaligen Zeit schuldeten alle Bauern dem Landesherrn festgesetzte Abgaben. Das Amt Steinheim, das dem Landesherrn direkt unterstand, setzte die Höhe der Abgaben fest. Die Gefälle, so wurden die Abgaben genannt, mussten fristgerecht geliefert werden. Säumigkeit wurde unter Strafe gestellt.

Aus den Aufzeichnungen des Amtes Steinheim wissen wir, dass im August des Jahres 1340 ein Schultheiß Johann in Obertshausen ansässig war. Der 29. August 1340 verzeichnet den Verkauf des bei dem Ort „Obratshusin“ gelegenen Waldes „daz eygen“ (Eichenwald) durch Gottfried V. von Eppstein und seine Frau Lorette an das Kloster Arnsburg in der Wetterau für 80 Mark Pfennige. Als Zeugen dieses Kaufvertrages sind genannt:

Ritter Dilmar von Dorfelden
Ritter Gezelt von Erlebach
Wäppner Kreft von Dornberg
Swiker von Herzach
Johann, Schultheiß von Obratshusin

Die Schultheiße übten ihre Tätigkeit ehrenamtlich aus; trotzdem erhielten sie zu allen Zeiten auch eine Vergütung. Zur Zeit der Naturalwirtschaft war das Schultheißenamt in Hausen mit 20 Morgen Land dotiert.

In der Zeit nach dem dreißigjährigen Krieg wechselte die Herrschaft in Hausen und Obertshausen vom Kurfürstentum Mainz zu den „Schönbornern“, die ihren Herrschaftssitz in Heusenstamm hatten. Im Jahre 1712 wird Johann Adolf Hoffmann, Schultheiß in Hausen. Er erstellt die im Stadtarchiv aufbewahrte Rechnung über die erste im Jahre 1729 fertiggestellte Kirche Hausens. Auf seinen Antrag wird 1733 eine eigene Schule für Hausen genehmigt und eingerichtet.

Sein Sohn Erwein Hoffmann übernimmt im Jahre 1754 das Schultheißenamt. Während seiner Amtszeit beginnt der Gerichtsschöffe und Damastweber Johann Henrich Junior mit der Niederschrift des „Kirchenbuches für Hausen hinter der Sonne“, das interessanteste und wertvollste Dokument des Obertshausener Stadtarchivs.

Die sinngemäße Übertragung des ersten Blattes ins heutige Deutsch lautet wie folgt:

„Demnach Herr Erwein Hoffmann, Schultheiß, Caspar Hoffmann, Johann Henrich Junior und Peter Pieroth Gerichtsschöffen und sämtliche Gemeindemitglieder zu Hausen hinter der Sonne, haben sich nach altem Gebrauch und löblichen Herkommen entschlossen, ein Kirchenbuch aufzustellen für die Nachkommenden. Darinnen soll der Anfang unseres Römisch-katholischen Kirchenbaus, der Anfang und die Vermehrung des Gottesdienstes und Einweihung kurz beschrieben werden. Wie auch die Stiftung der Wohltäter, samt einer Tabelle, worin die Messen, die zum Trost der verstorbenen Seelen gestiftet wurden, verzeichnet sind und ein Register über die Kirchengelder. Wie auch den Anfang der hiesigen Schule.

Von Johann Henrich Junior, Damastweber und Gerichtsschöffe zu Hausen hinter der Sonne aufgestellt und geschrieben.
So geschehen: Hausen hinter der Sonne, den 2. Februar 1758.“

Seite aus dem ersten Hausener Kirchenbuch.

Interessanterweise taucht der Name Johann Henrich Junior bei der Vermessung des Schirmerfeldes in Obertshausen wieder auf. Hier ist er im Acker-Buch des Schirmerfeldes aus dem Jahr 1750 als der zuständige Geometer verzeichnet. Die Vermessung des Ackerlandes bildete dabei für den Grundherrn die Basis zur Festsetzung der Abgaben durch die Bauern.

Neben dem Geometer Johann Henrich Junior, war der Schultheiß von Obertshausen Johann Caspar Pietz, sowie vier weitere „Berichtschöffen“ zugegen, um das Dokument zu unterschreiben. Ins heutige Deutsch übertragen lautet die letzte Seite:
„Wir, die dieses Dokument unterschreiben, Schultheiß, Schöffen, Landvermesser und Grenzsteinsetzer aus Obertshausen, der Geometer aus Hausen hinter der Sonne, bezeugen hiermit, dass der Inhalt des Ackerbuches, die Messungen, die neue Beschreibung des Ackergeländes durch uns ordnungsgemäß durchgeführt wurden.
So geschehen: Obertshausen, den 14. April 1750.
Johann Caspar Pietz, Schultheiß
Andreas Winter
Andreas Henrich
Johannis Winter
Johann Niclaß Mayer
Johann Henrich Junior
.“

Seiten aus dem Ackerbuch über das Schimmerfeld in Obertshausen aus dem Jahr 1750.

Im Jahre 1777 wird der Dorfschmied Servatius Picard Schultheiß in Hausen. Er ist gleichzeitig Markmeister der Bieberer Mark und schreibt die Markrechnungen vieler Jahre. Sie werden im Staatsarchiv in Darmstadt aufbewahrt. Auch die älteste Hausener Redeliste (Steuerliste) aus dem Jahre 1786 und eine Anleitung zur Berechnung von Bede-, Fron- und Dienstgeld stammen von ihm.

Sein Nachfolger, zugleich letzter Markmeister der Bieberer Mark und letzter Schultheiß von Hausen, ist der damalige Besitzer der Obermühle Johann Martin Komo. In seine Amtszeit fallen bedeutsame Ereignisse: die napoleonischen Kriege, der Wechsel der Herrschaft von Schönborn über Isenburg zum Großherzogtum Hessen, die Auflösung der Bieberer Markgenossenschaft, die Aufteilung des Markbesitzes und schließlich die Aufhebung der Leibeigenschaft.

Damit treten auch die Schultheiße von der geschichtlichen Bühne ab und es beginnt die Zeit der Bürgermeister, über die wir in unserem zweiten Teil berichten.