Von der Amtsstube bis zu den beiden Rathäusern – Teil 2: Gesangsvereine entscheinden Bürgermeisterwahlen

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird die Verwaltung durch „Orts-Deputierte“ erweitert. Für alle sechs Männer, die fortan das Gemeindeoberhaupt, das jetzt Bürgermeister heißt, unterstützen, bürgert sich nach und nach der Begriff „Gemeinderäte“ ein. Erst vom Jahre 1852 an darf die Bürgerschaft ihre Gemeinderäte wählen. Das geschieht zunächst nach dem Dreiklassenwahlsystem, d. h., je nach den von ihnen aufgebrachten Steuerabgaben werden die Bürger in drei Abteilungen geteilt. Jede Abteilung entspricht einem Drittel der Gesamtsumme. Frauen dürfen überhaupt nicht wählen. Bei der Gemeinderats-Wahl im Jahre 1863 gibt es in Hausen 108 Wahlberechtigte. Von ihnen dürfen 14 in der ersten, 28 in der zweiten und 66 in der dritten Klasse wählen, d. h., der Einfluss der 14 Männer der ersten Klasse ist gleich dem der 28 der zweiten und gleich dem der 66 der dritten Klasse. Dieses Wahlsystem ist also weder gleich, noch direkt, noch allgemein. Vielfach ist es auch nicht geheim. Vom Jahre 1875 an werden im Großherzogtum Hessen Gemeinderäte und Bürgermeister nach dem gleichen, direkten und geheimen Wahlsystem gewählt. Nach dem Ersten Weltkrieg wird das Wahlrecht dann allgemein, d. h., alle Bürger, auch die Frauen, dürfen nun wählen.

Im Folgenden fokussieren wir uns aus Platzgründen auf die geschichtliche Entwicklung des Bürgermeisteramtes in Hausen. Obertshausen hat in dieser Zeit eine sehr ähnliche Entwicklung durchlaufen.

Im Jahre 1823 stirbt Johann Martin Komo, Hausens letzter Schultheiß im Alter von 75 Jahren. Ihm folgt von 1822 bis 1849 Jakob Seipel als erster großherzoglich hessischer Bürgermeister. Er stammt aus Lämmerspiel und hat nach Hausen eingeheiratet. Während seiner Amtszeit erhält Hausen seinen ersten Friedhof (1834). Außerdem wird zu seiner Zeit der erste Schulhausbau durchgeführt. Das Erdgeschoß der „Alten Schule“ in der „Mittegaß“, der heutigen Kapellenstraße, wird gebaut (1839). Jakob Seipel ist kinderlos. Er verkauft sein Haus in der Lämmerspieler Straße Nr. 5 an Johann Georg Komo Il., seinen Stiefenkel, der ihm von 1849 bis 1883 als Bürgermeister folgt. Die Hausener Amtsstube bleibt damit für weitere Jahrzehnte in der Lämmerspieler Straße.

In dieser Zeit vollzieht sich in Hausen und Obertshausen ein erster Strukturwandel. Viele Männer der verarmten bäuerlichen Bevölkerung werden Arbeiter in Offenbacher Betrieben. Die meisten von ihnen erlernen das „Portefeuillern“ und werden dann Heimarbeiter für Lederwarenfabriken.

Im Jahre 1883 wird Adam Kaiser zum Bürgermeister von Hausen gewählt. Bis 1909 befindet sich nun die Hausener Bürgermeisterei in seiner Wohnung in der Herrnstraße Nr. 3. In dieser Zeit werden in Hausen die St. Josefs Kirche und die ersten drei Klassensäle der „Neuen Schule“, der späteren Friedrich-Fröbel-Schule, gebaut. Zur Jahrhundertwende überschreitet Hausens Einwohnerschaft die Zahl Eintausend.

Der nächste Hausener Bürgermeister wird Johann Georg Bernardus, seine Amtsstube ist in der Seligenstädter Straße 15 zu finden. Interessant ist, dass in dieser Zeit die Gesangvereine bei den Bürgermeisterwahlen einen starken Einfluss ausüben. Während Adam Kaiser bei den Wahlgängen für seine drei Amtsperioden vom sozialdemokratisch geprägten Gesangverein Liederkranz favorisiert wird, erhält sein Nachfolger die Unterstützung des Gesangvereins Germania, der ebenfalls dem sozialdemokratischen Umfeld zugerechnet werden kann. Noch verwirrender wird die Situation dadurch, dass es Johann Georg Bernardus erst nach Absprache mit dem bürgerlich geprägten Gesangverein Sängerlust gelingt, die Wahl zum Bürgermeister zu gewinnen. Von daher ist auch die Bürgermeisterkür des Jahres 1909, zwar diesmal über die Parteigrenzen hinweg, wieder eine „Wahl der Gesangvereine“.

Die Amtszeit von Bürgermeister Bernardus ist überschattet vom Ersten Weltkrieg, den anschließenden Notjahren, der Inflation und der Zeit der Weltwirtschaftskrise. In der Notzeit der zwanziger Jahre beginnt Hausens Entwicklung zur Industriegemeinde. Durch die damalige Arbeitslosigkeit gleichsam gezwungen, machen sich viele Hausener Feintäschner selbständig und gründen Fabriken „Feiner Lederwaren“. Ein weiteres wichtiges Ereignis fällt in diese Zeit: die katholische Filialgemeinde Hausen, die zahlenmäßig schon lange über ihre Pfarrgemeinde Lämmerspiel hinausgewachsen ist, wird 1924 selbständige Pfarrkuratie.

Bald nach Beginn des NS-Regimes im Jahre 1933 wird Johann Georg Bernardus seines Amtes enthoben. Ein junger, nicht aus Hausen stammender Mann, Otto Hecker, wird von den Nazis als kommissarischer Bürgermeister eingesetzt. Weil er kein eigenes Haus hat, verlegt er die Amtsräume zunächst in die „Alte Schule“ in der Kapellenstraße, später in das gemeindeeigene Haus in der Rathenaustraße 5, der heutigen Kurt-Schumacher-Straße. Das Thema des nächsten Teils werden dann auch die Bürgermeister während der Zeit des Nationalsozialismus sein.

Glockenweihe für die St. Josef Kirche im Jahr 1927. Zweiter von links Bürgermeister Johann Georg Bernardus, rechts neben ihm Pfarrer Valentin Schwahn.