Überlebenschance durch Kunst

Gruppe „Zeitwerk“ stellt Klöppelwerke im Karl-Mayer-Haus aus

von Lisa Schmedemann (vom 13.01.2020 Offenbach Post)

Es kommt nicht von ungefähr, dass das Klöppeln von feiner Spitze mitunter als Kunsthandwerk bezeichnet wird. Die filigranen und edel anmutenden Textilien verblüffen, wenn man von den Arbeitsstunden erfährt, die zur händischen Herstellung investiert wurden.

Obertshausen – „Früher wurde die Spitze mit Gold aufgewogen“, betont Gudrun Borck von der deutschen Spitzengilde und Vorstandsmitglied des Heimat- und Geschichtsvereins, die im Karl-Mayer-Haus nun die erste Ausstellung in diesem Jahr eröffnet hat.

Die Spitze galt als Statussymbol. Nur Menschen von adliger Herkunft oder sehr wohlhabende Kaufleute leisteten sich die wertvolle Zier. Geändert hat sich das, als die Raschelwirkmaschinen zur Herstellung von Spitzenmeterware Einzug in die Textilfabriken hielten. Einer der Hersteller dieser Maschinen: Karl Mayer. „Die Verbindung und Verbundenheit zwischen Spitzengilde und dem Werkstattmuseum ist also da“, findet Borck.

Dass sich fortan auch der kleine Bürger den Stoff leisten konnte, wandelte das Bild, doch nicht die Mühe hinter der manuellen Herstellungsweise. Die Techniken sind erhaltenswert, lautet der Konsens der Spitzengilde. Dennoch ist das Handwerk zwischenzeitlich fast in Vergessenheit geraten.

Um der Spitze neues Leben und neue Aufmerksamkeit zu schenken, hat sich die Gruppe „Zeitwerk“ gebildet, die nun mit ihren Kunstwerken bis zum 22. März zu Gast ist. Der erste Blick offenbart dem Betrachter nicht direkt das Material, aus dem die Kunstwerke bestehen, das Spitzenmuster ist jedoch klar zu erkennen. Die Künstlerinnen vereinen Müll mit Garn, grob mit fein und Kunst mit Handwerk. Das Werk „Zwillinge“ etwa besteht aus Kupferdraht, der handgeklöppelt zu einer zarten Skulptur wird. Daneben erhalten Kaffeekapseln neue Formen, selbst optische Täuschungen aus Spitze zeigt die Gruppe. „Wir haben uns ,Zeitwerk’ genannt, weil unsere Werke eben so viel Zeit kosten“, erläutert Marie Fus. „Und da haben sie es eben auch verdient, lange angeschaut zu werden“, fügt sie schmunzelnd hinzu. Im Vordergrund solle zwar die Kunst stehen, doch wollen die Damen dennoch die Technik des Klöppelns, also das Herstellen der sogenannten Klöppelspitze per Hand, zeigen. Die Künstlerin Karin Bergel meint: „Darin besteht die Überlebenschance der alten Technik.“

Als die gebürtige Wolfsburgerin Bergel im Jahr 1979 von der Technik des Klöppelns erfuhr, war das Handwerk nur noch wenig verbreitet. „Ich habe auf einer Kreativmesse davon erfahren und mich daraufhin damit auseinandergesetzt“, erinnert sich die 84-Jährige. Die Klöppel, die mit Garn umspannt werden, um diesen dann geschickt miteinander zu verknüpfen, musste ihr Mann damals für sie drechseln, „weil es die einfach nicht zu kaufen gab“. Während in der DDR das Handwerk hochgehalten wurde, geriet es in Westdeutschland in Vergessenheit. Heute erfährt es eine Renaissance mit kreativen Interpretationen.

Infusionsschläuche, Fußmatten, Schirmspeichen. Diese Materialien verarbeiten die Damen von „Zeitwerk“ in ihrer „Upcycling“-Reihe. Ein Mobile aus Resten und handgeklöppelten Stoffen darf sogar angefasst werden. „Das lässt nicht jeder zu“, weiß Borck.

Bis zum 22. März kann die Ausstellung an jedem zweiten und vierten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr besichtigt werden. Die Künstlerinnen Marie Fus und Christel Bierbrauer besuchen am 9. Februar noch einmal das Werkstattmuseum in der Karl-Mayer-Straße 10 und beantworten Fragen rund um die alte Technik.

Die Damen von der Künstlergruppe „Zeitwerk“ zeigen, wie lebendig das alte Handwerk des Klöppelns ist.
Beim zweiten Hinsehen erkennt der Betrachter die Schirmspeichen, zwischen dem der Spitzenstoff gespannt ist.