Nachlass einer Koryphäe

Ausstellung über Gudrun Borck im Karl-Mayer-Haus

von Michael Prochnow

Detailverliebte Arbeiten: Anne Urban (links) Karin Schneider und Armin Paul freuen sich auf die neue Ausstellung der Deutschen Spitzengilde. © M

Eine junge Frau im rosafarbenen Kleid mit auffälliger Schleife, mit geflochtenen Zöpfen hinter dem gesenkten Blick. Puppen säumen ihre weißen Socken. Sie hockt lustlos auf einer Schaukel hinter verbogenen Stäben eines goldenen Käfigs, umrankt von Rosen, Orchideen und Schmetterlingen. Gudrun Borck beschrieb die Szene so: „Heile Welt oder die einsame Kindheit einer nicht-emanzipierten Ehefrau“.

Obertshausen – Die Mitgründerin der Deutschen Spitzengilde schuf das Bild allein mit Nadel und Faden. Es ist demnächst neben vielen weiteren Motiven in Handarbeitstechniken im Karl-Mayer-Haus zu sehen. Dort hat die langjährige Vorsitzende eine Heimat für ihren Verein gefunden. Nach dem überraschenden Tod ist nun eine Ausstellung der resoluten wie umtriebigen, mit außergewöhnlichem Talent und Fachwissen ausgestatteten Langenerin gewidmet.

„Ein Leben für die Nadelspitze“ gestalten gerade ihre Nachfolgerin Anne Urban aus der Nähe von Mainz und die Zweite Vorsitzende der Gilde, Karin Schneider aus Speyer im Obergeschoss des Werkstattmuseums. Akribisch drapieren sie die Kunstwerke in Vitrinen, hängen eine Kreuzigungsgruppe in ein farblich passendes Passepartout, betten metallene Ketten in Sand und legen Colliers dekorativ um schwarze Büsten. Und alle Exponate sind in geduldiger, detailverliebter Arbeit aus Garn und Stoff gestickt.

„Textile Spitzen waren die große, lebenslange Leidenschaft von Gudrun Borck“, erklärt Sprecherin Urban, „damit war sie in ganz Deutschland und darüber hinaus bekannt“. Die Fähigkeiten der gebürtigen Aschaffenburgerin fielen einer Lehrerin auf, als Borck eine Ausbildung zur Erzieherin absolvierte. Sie erlernte das Sticken, interessierte sich aber für alle Handarbeitstechniken.

Während eines dreijährigen Aufenthalts in Dublin bestickte sie Abendkleider für einen Modeschöpfer. Zurück in Hessen entwarf und stickte sie Kleidung und Tischdecken für den Burda-Verlag. In Nadelspitzenkursen verfeinerte sie ihre Kenntnisse um ihre persönliche Note, berichtete die Leiterin.

Gudrun Borck beschäftigte sich früh und intensiv mit der Geschichte der Nadel- und Klöppelspitze und erwarb sich so ein enormes Wissen. Damit gründete sie 1986 die Spitzengilde, die alle Techniken bewahrt und weiterentwickelt. Seit der Eröffnung des Mayer-Hauses 1992 verfügte der Verein dort über Räume. Die Verstorbene war von 1982 bis 2004 Vorsitzende und bereits seit 1991 Museumsbeauftragte.

Mittels ihrer Kontakte in der Szene holte sie auch Künstlerinnen ihres Fachs aus Dänemark, Frankreich, Belgien, Österreich und Kroatien nach Obertshausen. Das Programm an der Karl-Mayer-Straße beginnt stets mit einer Schau der Spitzengilde, die alljährlich drei Veranstaltungen ausrichtet. Nach 30 Jahren widmet sich nun erstmals eine Ausstellung der fachkundigen Expertin, die sich ein Leben lang dafür engagierte, Menschen für die Jahrtausende alte Kultur zu gewinnen.

Die Vernissage fand coronabedingt im kleinen Kreis statt. Die Spitzen-Werke von Gudrun Borck sind seit dem 13. Februar und noch bis 8. Mai an jedem zweiten und vierten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr zu sehen. Führungen können mit Anne Urban vereinbart werden. 

Infos

0170 26 27 229, spitzengilde.de