Obertshausens Gasthäuser

Äppler und Branntwein hoch im Kurs: Pfarrer kauft Lokal gegen das „sündige Treiben“

von Thomas Holzamer (vom 28.11.2019 Offenbach Post)

Viele Erinnerungen an ehemalige Gasthäuser in Obertshausen hat der Heimat- und Geschichtsverein zusammengetragen.

Obertshausen – Ob Post, Grüner Baum oder das Forsthaus – wohl nur die wenigsten Obertshausener kennen sie noch, die Namen einstiger Gasthäuser. Von denen gab es in Obertshausen im 19. Jahrhundert einige. Viele Erinnerungen an die Hochzeit der Wirtshauskultur in den zwei damaligen Gemeinden Hausen und Obertshausen haben die Aktiven des Heimat- und Geschichtsvereins zusammengetragen. In der ersten Ausgabe einer kleinen Serie blickt unsere Zeitung gemeinsam mit den Heimatforschern zurück in jene Zeit, als die Gaststätten noch einen wesentlich höheren Stellenwert im Sozialleben der Gemeinde einnahmen als heute.

Nicht selten waren die Gasthäuser auf dem Land neben den Kirchen die einzigen Versammlungsorte und boten Vereinen und Parteien Raum für ihre Treffen. So auch in Obertshausen, wie der 1845 dort geborene Priester Professor Dr. Peter Bruder in seiner 1907 verfassten Chronik über sein Heimatdorf berichtet. Drei Wirtshäuser habe es demnach in den 1850er-Jahren in Obertshausen gegeben: Das Gasthaus „Zur goldenen Krone“ gehörte Wendelin Fecher, dem Schwiegersohn des Bürgermeisters Wilhelm Bauer. Der Bruder des Letzteren betrieb das zweite Gasthaus, genannt „Zum grünen Baum“. Das Dritte, das Gasthaus „Zum Löwen“, war im Besitz des Vaters von Peter Bruder.

Beliebt waren zu dieser Zeit vor allem Brannt- und Apfelwein. Bier und Wein gingen scheinbar nur selten über die Theke, berichten die Heimatforscher. Den Apfelwein kelterten die Wirte meist selbst, oder bezogen ihn vom Neuwirtshaus – der Gaststätte, die außerhalb an der Seligenstädter Chaussee unweit der Tannenmühle lag. Der Vater von Chronist Bruder holte den Wein für sein Gasthaus „Zum Löwen“ damals selbst aus Rheinhessen und bezog sein Bier von der Jung’schen Brauerei in Groß-Steinheim.

Zum Geschehen in den Wirtshäusern heißt es in Peter Bruders Chronik: „Das Wirtshaus besuchten Männer und Burschen. Einem Frauenzimmer wäre es damals zur Schande angerechnet worden, wenn sie es gewagt hätte, das Wirtshaus zu besuchen. Während der zwei Gottesdienste an Sonntagen war der Wirtshausbesuch verboten; abends war er erlaubt bis zur Feierabendstunde. An Silvesterabend und Kirchweihe fiel dies Verbot weg. Feste, wie jetzt zum Beispiel Turnfest und dergleichen waren unbekannt.“ Vielmehr, so berichtet der Chronist, bestand damals nur ein Gesang- und ein Turnverein. An Sonn- und Feiertagen sei seien zumeist Karten gespielt worden, wobei oft recht wüst geflucht worden sei. Auch das Kegeln sei üblich gewesen, berichtet Bruder. „Ich selbst habe manchen Kreuzer durch Kegelaufsetzen verdient, der dann in meine Sparkasse wanderte“, schreibt er und ergänzt: „Trunkenheit war nicht selten; auch echte Branntweinsäufer gab es einige, aber doch kein Halbdutzend.“

So endete wohl einst auch die Geschichte des Gasthauses „Zum Grünen Baum“, dessen Fachwerkhaus noch bis 1961 hinter der Herz-Jesu-Kirche stand, bevor es abgerissen wurde. Dort hatte sich 1875 etwa der Gesangverein Volkschor Germania gegründet. Dem katholischen Pfarrer Paul Kmietsch, der von 1913 bis 1946 im Amt war, war das „sündige Treiben“ neben dem Gotteshaus derart ein Dorn im Auge, dass die Pfarrei den „Grünen Baum“ im Jahr 1929 vom Eigentümer Josef Becker für 40 000 Reichsmark kaufte. Für welche Zwecke das Gebäude danach genutzt wurde, ist den Aktiven des HGV jedoch noch nicht bekannt.

Ebenfalls eine traditionsreiche Gaststätte in Obertshausen war der „Gambrinus“, dessen Wirt Valentin Winter 1886 die Schankerlaubnis erhalten hatte. Mit ihm schloss vor rund drei Jahren auch das letzte der alten Gasthäuser nach mehr als 100 Jahren seine Türen. Längst Geschichte ist auch die 1871 erbaute „Post“. Sie war gleichzeitig die Postagentur für Obertshausen und Hausen und dreimal wöchentlich Haltestelle der Postkutsche. Außerhalb, an der Straße nach Hausen, befand sich zudem das Gasthaus „Zum Bahnhof“, das bereits vor dem Bau der Linie existierte, jedoch mit der Fertigstellung des Bahnhofs 1896 diesen Namen erhielt.

Wer mehr über die historischen Gaststätten erfahren möchte, dem sei die zweite Auflage der Chronik „Unser Obertshausen – eine Zeitreise durch unsere Heimat“ ans Herz gelegt. Das 336 Seiten starke Werk mit mehr als 400 Abbildungen und Grafiken ist beim Büchertreff Obertshausen, in der Buchhandlung Henzler, bei Schreibwaren Hoffmann, beim Kfz-Service Jäger sowie im Werkstatt-Museum des HGV erhältlich.

Noch nahezu unverbaut präsentierte sich um 1900 der Blick von Obertshausen über den Bahnübergang in Richtung Hausen. Links ist die Wirtschaft „Zum Forsthaus“, rechts die Gaststätte „Zum Bahnhof“ zu sehen.
Noch nahezu unverbaut präsentierte sich um 1900 der Blick von Obertshausen über den Bahnübergang in Richtung Hausen. Links ist die Wirtschaft „Zum Forsthaus“, rechts die Gaststätte „Zum Bahnhof“ zu sehen.

Das Gasthaus „Zum grünen Baum“ auf einer alten Postkarte um 1920.
Das Gasthaus „Zum grünen Baum“ auf einer alten Postkarte um 1920.

Die Gaststätte „Zur Post“, hier nach ihrem Umbau 1940, war zugleich Haltestelle der Postkutsche.
Die Gaststätte „Zur Post“, hier nach ihrem Umbau 1940, war zugleich Haltestelle der Postkutsche.

In einer Kolumne schreibt Herr Holzamer zu den alten Wirtschaften in Obertshausen folgendes:

Von alten und neuen Originalen

VON THOMAS HOLZAMER

Lang ist sie vorbei die große Blütezeit der Gaststätten in Obertshausen. Dass gerade viele ältere Einwohner der Kleinstadt mit Herz noch immer wehmütig an die einstigen „Originale“ zurückdenken, hatte zuletzt das Bedauern rund um die Schließung des Traditionslokals „Gambrinus“ vor rund drei Jahren bewiesen. „Was gibt es denn überhaupt noch“, hört man nicht selten im Gespräch. Doch, genauer betrachtet, ist die Lokalszene in Obertshausen gar nicht mal so schlecht – abgesehen von der regelmäßigen Fluktuation bei den, nennen wir sie mal „Bistros“. Denn wo man damals lediglich wählen konnte, bei welchem der drei Wirte einem der Schoppen oder ‚es Rippsche am besten schmeckte, herrscht heute eine kulinarische Vielfalt von Burger bis bürgerlich. Und seien wir mal ehrlich, sind Nachtwächter, Remedy, El Cuervo und Co. nicht längst auch Originale?