Obertshausen einst: Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg

Die Chronik der Stadt Obertshausen

von Fabian Bleisinger

Im Jahr 2020 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal. Noch nie in der Geschichte Deutschlands gab es eine längere Friedenszeit – und noch nie gab es soviel Wohlstand für große Teile der Bevölkerung wie in diesem dreiviertel Jahrhundert. Dabei waren die Anfänge mehr als schwierig.

Das Ende des Krieges kam für die Menschen in Obertshausen und Hausen am 26. März 1945, als Soldaten der 71. US-Infanterie-Division die Orte besetzten und die Bürgermeister jeweils mit weißer Fahne in der Hand die Orte übergaben. Doch die Bilanz von zwölf Jahren Naziherrschaft war bitter. Die Chronik des Heimat- und Geschichtsvereins Obertshausen e.V. verzeichnet die Verluste: 83 Männer aus Obertshausen verloren ihr Leben bei der Wehrmacht, 37 galten als vermisst. In Hausen waren 129 Tote und 41 Vermisste zu verzeichnen.

Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg sahen die Einwohner von Obertshausen und Hausen – wie die Menschen überall in Deutschland – einem ungewissen Schicksal entgegen. Zunächst bemühten sich die Besatzungsmächte, eine funktionierende Verwaltung wieder aufzubauen – möglichst ohne die Kader der Naziherrschaft. Doch die dringlichsten Probleme, die gelöst werden mussten, waren der Mangel an Wohnraum und die Ernährung der Menschen. In der Chronik heißt es dazu: „Zwar hatte Obertshausen im Grunde keinerlei kriegsbedingte Verluste in dieser Hinsicht zu verzeichnen, doch waren am Ort einerseits 26 Häuser durch die amerikanischen Truppen belegt, andererseits mussten auch die zuziehenden Flüchtlinge und Vertriebenen in den vorhandenen Wohnraum aufgenommen werden. Im November 1946 lebten außer der einheimischen Bevölkerung noch etwa 580 „Ostflüchtlinge“ sowie rund 200 „evakuierte Fliegergeschädigte“ in Obertshausen. In den zugewiesenen Wohnungen mangelte es an Einrichtungsgegenständen aller Art, vor allem an Kochgelegenheiten. Auch Bedarfsgüter wie Schuhwerk und Kleidung waren rar. Die Kartoffelversorgung, so meldete der Bürgermeister, habe „katastrophale Formen angenommen“. Es verwundert angesichts dieser Lage somit keineswegs, wenn die hungernden Menschen nach „alternativen“ Wegen der Nahrungsbeschaffung suchten. So musste der Bürgermeister des Öfteren auch von Einbrüchen und Lebensmitteldiebstählen berichten.“


Flüchtlingsunterkünfte in der Waldstraße in Obertshausen

In Hausen waren die Verhältnisse ähnlich schwierig. Viele Schulkinder waren unterernährt und die Tuberkulose griff immer mehr um sich, auch weil Medikamente und Verbandsmaterial Mangelware waren. Vielerorts waren die Menschen – vor allem Geflüchtete aus den Ostgebieten wie dem Sudetenland – in Behelfsunterkünften z.B. in der Obertshausener Waldstraße untergebracht. Als erstes neues Siedlungsgebiet wies die Gemeinde Hausen im Jahr 1947 das sogenannte Siedlungsdreieck aus. Dieses Gebiet wird heute von der Bundesstraße 448, der Schönbornstraße und der Seligenstädter Straße begrenzt; der Straßenname „Sudetenstraße“ erinnert an die Neubewohner, die sich hier vor allem ansiedelten.

Eine wirkliche Änderung der Verhältnisse brachte 1948 die Währungsreform, also die Umstellung von Reichsmark auf Deutsche Mark, auf Anordnung der westlichen Besatzungsmächte. Jeder Deutsche erhielt als „Startkapital“ 40 DM. Nachdem 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde, begann für die Bevölkerung mit dem wirtschaftlichen Aufschwung ein beispielloser Aufstieg. Gerade für die Gemeinden Obertshausen und Hausen brachten diese Jahre immensen Wohlstand. Die Erzeugnisse der heimischen Lederwarenindustrie waren in der aufstrebenden Bundesrepublik gefragt wie nie – und die Branche wurde für Arbeitskräfte aus ganz Deutschland attraktiv. Einen ähnlichen Bevölkerungszuzug lösten die ortsansässigen Unternehmen YMOS und Karl Mayer aus. YMOS profitierte als Automobilzulieferer besonders vom Boom der deutschen Autobranche – die wichtigsten deutschen Hersteller standen auf der Kundenliste der Hausener. So kamen Menschen aus ganz Deutschland – und ab den 1960er Jahren auch aus Süd- und Südosteuropa – in unsere Region, um bei den genannten Unternehmen zu arbeiten und sich eine neue Existenz in einer neuen Heimat aufzubauen. Zum Bevölkerungswachstum schreibt die Chronik des Heimat- und Geschichtsvereins: „So verdreifachte Hausen seine Einwohnerzahl zwischen 1946 und 1970 von 2.804 auf 9.201. Lebten 1946 noch 3.174 Menschen in Obertshausen, verzeichnete die Gemeinde im Jahr 1970 9.096 Einwohner.“ Doch nicht nur die Einwohnerzahl wuchs, auch die Steuereinnahmen für die beiden Gemeinden stiegen. Erst dadurch – und durch die Förderung der örtlichen Unternehmer, allen voran die späteren Ehrenbürger Jakob Wolf (YMOS) und Karl Mayer – waren viele Investitionen der Gemeinden möglich geworden, u.a. in neue Wohngebiete und Straßen, neue Häuser, das Bürgerhaus, neue Feuerwehrhäuser, die beiden Rathäuser, das Waldschwimmbad, Schulen, Spielplätze und vieles mehr.

Viele weitere interessante Fakten und Geschichten dieser Zeit führt das Buch „Unser Obertshausen – eine Zeitreise durch unsere Heimat“ an. Diese aktuelle 336 Seiten starke Chronik, die mit mehr als 400 Abbildungen und Grafiken anschaulich bebildert ist, ist in Obertshausen beim BücherTreff und in Hausen bei der Buchhandlung Henzler, bei Hoffmann-schreiben-spielen-schenken und beim Jäger-KFZ-Service (ARAL) erhältlich. Auch im Werkstattmuseum „Karl-Mayer-Haus“ in Obertshausen kann das Buch während der Öffnungszeiten oder im Rahmen der dortigen Veranstaltungen erworben werden. In diesen Tagen ein Ergänzungsheft zu ersten Auflage der Chronik erschienen. Hierin sind die Seiten enthalten, die bei der zweiten Auflage mit hinzugekommen sind. Besitzer der ersten Auflage können es an den genannten Verkaufsstellen kostenlos in Empfang nehmen.


Das sogenannte Siedlungsdreieck im Jahr 1964. Gut zu erkennen: der dichte Wald zwischen Hausen und Obertshausen, davor die Gathofkreuzung mit der Gaststätte „Zum Waldheim“.

Das Neubaugebiet Lohwald im Jahr 1965 mit Waldstraße, Westendstraße und Beethovenstraße, rechts die Autobahn A 3.