Zwangsarbeiter während des zweiten Weltkrieges
In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg hatten die Nationalsozialisten nur wenig Gelegenheit, ihre wirren Theorien vom Deutschen Herrenmenschen gegenüber den anderen europäischen Völkern zu praktizieren. Zu zahlreichen Begegnungen mit den Angehörigen fremder Völker und Nationen kam es dann während des Krieges, einerseits für die Soldaten an der Front, andererseits in der Heimat durch die Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen.
Polen waren die ersten Ausländer, die in größerer Zahl ins Reichsgebiet kamen. Nach den Eroberungen in Westeuropa folgten im Sommer 1940 Franzosen, Belgier und Holländer. Als die Nachfrage der Industrie und der Landwirtschaft nach Arbeitskräften durch den Einsatz von Kriegsgefangenen nicht mehr gedeckt werden konnte, holte man Zivilisten aus den besetzten Gebieten zum Arbeitseinsatz ins Reichsgebiet. Wie auch sonst üblich, versuchten die Nationalsozialisten dies mit zwei Methoden: Werbung und Zwang. Tatsächlich gelang es ihnen zunächst, durch geschickte Anwerbung eine erhebliche Zahl von Menschen zur Arbeit im Reich zu gewinnen. Konnten die Nationalsozialisten jedoch nicht genügend Freiwillige rekrutieren, so griffen sie zur Gewalt. In Kinos, Cafés und in Bahnhöfen veranstalteten sie Razzien und verschleppten die Festgenommenen nach Deutschland.
Die Nationalsozialisten erwarteten von den Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, dass sie sich den Anordnungen der deutschen Behörden fügten. In der Regel brachten sie die „Fremdarbeiter“, wie die offizielle Bezeichnung für sie lautete, in Barackenlagern unter. Waren solche nicht vorhanden, so schufen die Behörden Quartiere in Turnhallen und in Sälen von Gasthäusern. Auch Fabrikräume und leerstehende Lager dienten als Unterkünfte. Gemeinschaftsküchen sorgten für die Verpflegung, die bei zunehmender Verknappung der Lebensmittel kaum ausreichend war. Recht erträglich erging es in der Regel den Ausländern, die in der Landwirtschaft eingesetzt waren. Üblicherweise waren sie in Räumen untergebracht, in denen auch das Gesinde zu wohnen pflegte. Dass sie ihre Mahlzeiten gemeinsam am Tisch mit den deutschen Bauersleuten einnahmen, stellte keine Ausnahme dar.
Je länger der Krieg dauerte, desto größer wurde der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften. Wegen der Einberufung der meisten deutschen Männer zur Wehrmacht konnten viele Firmen ihren Betrieb nur noch mit Hilfe der Ausländer aufrechterhalten. An die 13 Millionen sollen zur Arbeitsleistung im Reichsgebiet verpflichtet oder gezwungen worden sein. Zur leichteren Beherrschung der „Fremdarbeiter“ wurden diese gekennzeichnet. Die Kriegsgefangenen trugen zumeist ihre Militäruniformen ohne Rangabzeichen. Sowjetische Kriegsgefangene befanden sich in Lagern und hatten üblicherweise keinen Kontakt zur deutschen Bevölkerung. Zivilarbeiter aus dem Osten aber mussten ähnlich wie die Juden ein Zeichen ihrer Herkunft tragen: Polen ein „P“ und Deportierte aus der Sowjetunion ein „Ost“.
Die ausländischen Arbeiter waren zudem stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Öffentliche Verkehrsmittel durften sie nur mit besonderer polizeilicher Erlaubnis benutzen. Für die Ostarbeiter galten bezüglich des Ausganges noch strengere Bestimmungen. Den Nationalsozialisten war dabei bewusst, dass man sich mit den für die Produktion dringend benötigten Arbeiter aus den unterworfenen Ländern ein Heer von potentiellen Feinden ins Reich geholt hatte, die man daher streng überwachen musste. In der Realität ließen sich die Reglementierungen und Verbote jedoch nur schwer durchsetzen, wie die täglich gemachten Erfahrungen, aber auch ein Gestapo-Erlass aus dem Jahre 1943 beweisen. Wie gegen unbotmäßige Fremdarbeiter vorgegangen werden sollte, zeigt ein Schreiben der Gestapo aus dem Jahre 1942: „Bei erstmaligen leichteren Disziplinlosigkeiten am Arbeitsplatz wie Arbeitsverweigerung (…) Nichttragen des Kennzeichens (…) Versuch des verbotenen Umgangs mit Deutschen, Benutzung von Fahrrädern (…) sind je nach Lage der Sache bis zu drei Tagen Erziehungshaft zu verhängen. Anstelle der Schutzhaft von drei Tagen kann auch eine Freiheitsentziehung wirksam sein, die von Sonnabend bis Montag früh dauert oder in einer Lagersperre besteht, die sich auf mehrere Sonntage erstrecken kann. Ferner können ausländische Arbeiter an Sonntagen zu notwendigen Gemeinarbeiten (Straßenbau und Wasserstraßenregulierungsarbeiten) unter strenger polizeilicher Aufsicht herangezogen werden.
Unnachsichtig reagierten die NS-Behörden im Falle von intimen Beziehungen zwischen Ausländern und deutschen Frauen, da dies aus der Sicht des nationalsozialistischen Herrenmenschendenkens ein schweres Vergehen gegen die Reinheit des deutschen Blutes darstellte. Die seelsorgerische Betreuung der Ausländer gestaltete sich ebenfalls schwierig, da die Behörden nicht zulassen wollten, dass Fremdvölkische oder besiegte Feinde zusammen mit Deutschen den Gottesdienst feierten. Den Pfarrern wurde daher ein Wehrmachtserlass zur Kenntnis gebracht, der die Abhaltung von Gottesdiensten durch deutsche Geistliche untersagte. Eine Ausnahme sollte nur bei Beerdigungen gestattet sein, sofern ein kriegsgefangener Geistlicher nicht zu erreichen war. Viele Priester versuchten, diese Anweisung zu umgehen. Zu einer Regelung der Gottesdienste für die Polen kam es dann 1943 und 1944. In Gemeinden, in denen eine größere Anzahl lebte, war es dem Ortspfarrer gestattet, einmal monatlich einen besonderen Gottesdienst für sie zu halten. Pfarrer, Ministranten und polnische Kriegsgefangene oder Deportierte trafen sich sonntags in einem besonderen Raum. Latein war damals noch weltweit die Sprache der Liturgie in der Katholischen Kirche und so erlebten die Ausländer die Messfeier in der Fremde so, wie sie sie aus ihrer Heimat gewohnt waren. Schwieriger war es für Geistliche, in die bewachten Lager zu gelangen.[1]
Im Deutschen Reich mussten zwischen 1939 und 1945 schätzungsweise über 13 Millionen Menschen Zwangsarbeit leisten; in den besetzten und kontrollierten Gebieten waren es weitere 13 Millionen.[2]
In Offenbach mussten bis zu 6000 Zwangsarbeiter in der Industrie schuften. Ein Gedenkstein auf dem Neuen Friedhof erinnert an das Unrecht, das ihnen angetan wurde.[3]
In einem Projekt „Zwangsarbeiter in Offenbach“ der Schillerschule wurden in den Jahren 2000/01 umfangreiche Untersuchungen zu diesem Thema durchgeführt. Dabei gelang auch die Kontaktaufnahme zu ehemaligen Zwangsarbeitern, die in Offenbach eingesetzt wurden.[4]
Die Deutsche Arbeitsfront, Gauverwaltung Hessen-Nassau, hat mit Datum 26. Oktober 1942 eine Auflistung der im Kreis Offenbach untergebrachten Lager für Zwangsarbeiter erstellt. Darin werden 33 Lager genannt, ein halbes Jahr später, am 1. April 1943, sind es bereits 57 Lager.
Bei Stahl-Schanz in Mühlheim sind zu dieser Zeit im Ostarbeiterlager am Müllerweg 288 Zwangsarbeiter aus der Ukraine und Russland einquartiert. In der hessischen Gummiwarenfabrik Louis Peter werden 85 Zwangsarbeiter aus der Ukraine, Russland und Frankreich genannt. Bei Röder-Präzision in Lämmerspiel waren 100 russische und tschechische Zwangsarbeiter beschäftigt. Auf dem Mühlheimer Friedhof wurde ein Gedenkstein für die in Mühlheim verstorbenen Zwangsarbeiter errichtet.[5]
In Heusenstamm wurden während des zweiten Weltkrieges Zwangsarbeiter aus Frankreich, Holland, Belgien, Polen, der Ukraine, Weißrussland und Russland beschäftigt. Die ersten Zwangsarbeiter kamen bereits im November 1940 nach Heusenstamm. Bis 1943 stieg ihre Zahl auf 173 Personen. Die Arbeiter lebten entweder in den Familien, bei denen sie tätig waren, oder in Gemeinschaftsunterkünften. Eine Unterkunft befand sich im Hofgut Patershausen, eine andere im hinteren Teil des Hofes des Zehnhauses in der Schlossstraße. Hier befindet sich heute das Haus der Stadtgeschichte. Dort waren französische Kriegsgefangene untergebracht. Viele russische Zwangsarbeiter arbeiteten im Sägewerk Kaltner, der Großteil jedoch bei der Firma Wachtberger in der Industriestraße. Diese Firma stellte kriegswichtige Güter her, die Zwangsarbeiter waren auf dem Firmengelände untergebracht und standen auch unter Bewachung.[6]
Zu einer Entschädigung für die vielen Millionen Zwangsarbeiter, die während des zweiten Weltkrieges in und außerhalb des Deutschen Reiches eingesetzt wurden, ist es lange Zeit nicht gekommen. Erst im Jahr 2000, 55 Jahre später, wurde mit Unterstützung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages das Gesetz zur Gründung der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft verabschiedet. Dies war ein rechtlicher und moralischer Meilenstein, um ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen vom Unrecht des Nationalsozialismus betroffenen individuelle humanitäre Zahlungen zu ermöglichen und die Erinnerung an das ihnen zugefügte Unrecht für kommende Generationen wachzuhalten.[7]
Auf Initiative der Partei Die Grünen beschäftigte sich das Stadtparlament in Obertshausen auch mit dem Thema Zwangsarbeiter. Die Stadtverordnetenversammlung appellierte daraufhin an die heimischen Unternehmen, sich an der Stiftungsinitiative finanziell zu beteiligen.[8] Einige Unternehmen tun dies daraufhin auch, namentlich erwähnt werden Arno Arnold GmbH, Gasversorgungsverband Obertshausen (heute Maingau Energie), Herzing + Schroth GmbH u. Co. KG (heute Feintools), Jucht Baukonzept GmbH & Co KG und Karl Mayer Textilmaschinenfabrik GmbH. Etliche dieser Unternehmen haben auch aus Solidarität in die Stiftungsinitiative eingezahlt, ohne dass sie damals selber Zwangsarbeiter beschäftigt hatten. Unter den Einzahlern sind auch Unternehmen, die erst nach 1945 gegründet wurden.[9]
Im Parlamentsbeschluss wird außerdem dem Heimat- und Geschichtsverein „anheimgestellt“, sich mit dem Thema Zwangsarbeiter zu beschäftigen und die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Diese Formulierung verwunderte den damaligen Vorsitzenden des Heimat- und Geschichtsvereins, Professor Dr. Klaus Werner etwas. Er habe nämlich vor etlichen Jahren für die städtische Chronik und die Dokumentation „Obertshausen und Hausen im Dritten Reich“ dieses Thema bereits umfassend behandelt. Leider wurden diese beiden Dokumente von der Stadt Obertshausen aber nur sehr unzureichend publiziert.[10]
Am 3. November desselben Jahres lud der Heimat- und Geschichtsverein zu einem historischen Vortrag ein, in dem Vorstandsmitglied Gerhard Müller über das Thema „Zwangsarbeiter in Obertshausen und Hausen“ referierte, der als hauptberuflicher Stadtarchivar den direkten Zugang zu den historischen Quellen besitzt und einige Dokumente zu der Veranstaltung mitbrachte. Dabei stellte er den rund 50 Interessierten im überfüllten Werkstattmuseum „Karl-Mayer-Haus“ seine Erkenntnisse über das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte vor, die er im Auftrag des Stadtparlaments sammelte. Lücken in den Akten, die im Rathauskeller Regalwände füllen, versuchte der Forscher mit Informationen aus Büchern zu schließen. Dabei war für ihn die oben erwähnte Dokumentation von Professor Dr. Klaus Werner sehr hilfreich. [11]
Am 15. Dezember 2018 stellt die Fraktion von Bündnis 90/Dier Grünen den Antrag in der Stadtverordnetenversammlung „Zwangsarbeiter in Obertshausen“. Der Magistrat solle bitte prüfen und berichten, wie in geeigneter Weise an die Zwangsarbeiter in Obertshausen erinnert werden kann. Angemessen wäre ein Hinweisschild oder ein Gedenkstein an einem gut frequentierten und würdigen Ort.
Die Veröffentlichung der neuen Stadtchronik Obertshausen bietet die gute Gelegenheit, an das Schicksal von mehreren Hundert Zwangsarbeitern in Obertshausen zu erinnern. In der Chronik sind Hinweise für beide Stadtteile enthalten.“[12]
Daraufhin vereinbart die Stadt Obertshausen zusammen mit dem Heimat- und Geschichtsverein den „Geschichtspfad Obertshausen“. Die Gedenktafeln über die Zwangsarbeiter in Hausen und Obertshausen sollen Bestandteil des Geschichtspfads Obertshausen werden.
[1] Zitiert aus: Prof. Dr. Klaus Werner (1993): Obertshausen und Hausen im Dritten Reich 1933-1945, Darstellung und Dokumentation, Herausgeber: Magistrat der Stadt Obertshausen, Seite 141-142)
[2] Stiftung evz – Erinnerung, Verantwortung, Zukunft. Thema: NS-Zwangsarbeit: Ausgebeutet und vergessen.
https://www.stiftung-evz.de/themen/ns-zwangsarbeit/ (abgerufen am 20.09.2024)
[3] Aus Frankfurter Rundschau vom 21.01.2019 – „Wo die Gestapo-Zentrale stand“
https://www.fr.de/rhein-main/offenbach/gestapo-zentrale-stand-11389787.html (abgerufen am 20.09.2024)
[4] Projekt „Zwangsarbeiter in Offenbach“ der Schillerschule
http://www.schillerschule-offenbach.de/page.php?view=&lang=1&si=6632f05c2705c&k1=main&k2=ueberblick&k3=historisches&k4=projekt_zwangsarbeiter (abgerufen am 20.09.2024)
[5] Aus „1200 Jahre Mühlheim am Main“, Band 27, Seite 329 ff; herausgegeben vom Magistrat der Stadt Mühlheim am Main und vom Geschichtsverein Mühlheim am Main e.V.
[6] Aus „Heusenstamm 1945, Kriegsende und frühe Nachkriegszeit“ von Michael Kern, Seite 200. Herausgegeben vom Heimat- und Geschichtsverein Heusenstamm e.V.
[7] Stiftung evz – Erinnerung, Verantwortung, Zukunft. Thema: NS-Zwangsarbeit: Ausgebeutet und vergessen, die Gründung der Stiftung EVZ
https://www.stiftung-evz.de/themen/ns-zwangsarbeit/ (abgerufen am 20.09.2024).
[8] Dreieich-Spiegel vom 05.08.2000, Artikel „Politiker appellieren an Firmen“, Offenbach Post vom 26.07.2000, Artikel „Beteiligung an Fonds zugesagt“.
[9] Firmen aus Obertshausen, die in die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung von Zwangsarbeitern eingezahlt haben, Stand 2007 http://www.verbrechen-der-wirtschaft.de/texte/0050_liste_zwangsarbeiter.htm (abgerufen am 20.09.2024)
[10] Offenbach Post vom 24.06.2000, Artikel: „Minimalkonsens zu NS-Zwangsarbeitern“.
[11] Offenbach Post vom 13.11.2000, Artikel „300 Zwangsarbeiter in Lager bei der Teutonia“; Dreieich-Spiegel vom 13 Januar 2001, Artikel „Die Ausländer leiden keine Not“
[12] Von Homepage „Grüne Obertshausen“, Antrag „Zwangsarbeiter in Obertshausen
https://www.gruene-obertshausen.de/antrag-zwangsarbeiter-in-obertshausen/ (abgerufen am 20.09.2024)
