17. Oktober 2021

O03 – Fachwerkhaus „Zum Nachtwächter“

O03 – Fachwerkhaus „Zum Nachtwächter“

Leider gibt es keine Urkunde, aus der hervorgeht, wer dieses Fachwerkhaus gebaut hat. Aber durch ein dendrochronologisches Spezialgutachten könnte bestimmt werden, wann die Bäume für dieses Haus geschlagen wurden. Dies geschah im Jahr 1708 und gleich darauf wurden sie für den Bau entsprechend verarbeitet. Der Bau des Hauses kann daher auf das Jahr 1709 datiert werden. Das im fränkischen Stil gebaute Fachwerkhaus gehört somit zu den ältesten, heute noch existierenden Häusern in Obertshausen. Typisch für diese Häuser war, dass sie kein Treppenhaus besaßen, deshalb hatte es zwei Eingänge. Im vorderen Teil lebte in der Regel der Besitzer mit seiner Familie. Im hinteren Teil das Gesinde oder die nicht mehr arbeitsfähigen Eltern. Zu dieser Zeit hatte der Ort ca. 120 Einwohner und gehörte, wie auch der Stadtteil Hausen, zum Herrschaftsgebiet der in Heusenstamm residierenden Grafen von Schönborn. Den Namen „Zum Nachtwächter“ erhielt das Haus, da es im 19. Jahrhundert tatsächlich vom Nachtwächter des Ortes bewohnt wurde. Sein Name war Adam Peter Becker, der den Beruf bereits von seinem Vater, Leonard Becker „geerbt“ hatte und auch an seine Nachfahren weitergab.

Im 20. Jahrhundert erging es dem Haus leider wie vielen anderen Fachwerkhäusern auch. Bereits vor dem zweiten Weltkrieg galten Fachwerkhäuser als nicht mehr zeitgemäß. Bei vielen von ihnen wurde deshalb die Fassaden verputzt, damit sie moderner wirkten. An anderen, wie unser Fachwerkhaus, hat man nicht mehr viel gemacht und so verkam das Haus immer mehr. Ab 1980 stand es dann leer.

Im Jahr 1985 kaufte Harald Tenschert das Haus. Als Schulbub wagte er sich nicht gerne in die Nähe des Hauses in der Fünfhäusergasse 3 bis 5. Denn nebenan wohnte sein Lehrer und der führte ein strenges Regiment. Dieses mulmige Gefühl aus seiner Schulzeit beschlich Harald Tenschert beim Kauf des Hauses nicht mehr. Ganz im Gegenteil: Sein Herz schlug vor Freude ein bisschen schneller, wenn er nun vor dem Fachwerkhaus stand. Mit dem Kauf dieses „Stückchens Heimat“ hatte er sich aber auch eine Menge Arbeit aufgehalst. Wie ein hölzernes Gerippe sah das Fachwerkhaus aus, nachdem sämtliche Ausfachungen, die aus Holzscheiten, einem Geflecht aus Birkenruten und mit Gerstenstroh vermischtem Lehm bestanden, entfernt wurden. Nicht nur dieses jahrhundertealte Baumaterial transportierte Harald Tenschert mit einem Lastwagen ab. Zwölf Container mit Ausrangiertem, Vergessenem und Unbrauchbarem waren die Bilanz der Entrümplungsaktion. Zwei Jahren sollte es nun dauern, bis das Gebäude wieder hergerichtet war.

Das Fachwerkhaus steht auf den Fundamenten eines anderen, wahrscheinlich wesentlich älteren Hauses. Dieser Vorgängerbau ist vielleicht im 30-jährigen Krieg abgebrannt. Zusammen mit dem Stadtarchivar Otto Lechens hat Harald Tenschert Unterlagen eingesehen und so die Geschichte seines neuen Hauses erforscht. Das ursprünglich bäuerliche Wohnhaus ist irgendwann zum Zweifamilienhaus avanciert. 1848 wurden jedenfalls erstmals zwei Besitzer verzeichnet – Johannes Ott VII und Mathias Krapp. In Obertshausen keine unbekannten Familiennamen. Harald Tenschert tat sich schwer bei der Recherche, denn das Haus wechselte oft seine Besitzer. Einer davon war aber der uns bekannte Nachtwächter von Obertshausen Adam Peter Becker. Ein Sohn von Leonhard Becker I, der mit seinen sieben Kindern in dem Bauernhof im Anschluss an das 600 Quadratmeter große Gelände der Fünfhäusergasse 3 – 5 gewohnt hat.

Bei den Bauarbeiten wurden im Garten des Hauses wild umwucherte Steinbrocken entdeckt, wie sie normalerweise auf Brunnenrändern zu finden sind. Der Forschergeist des Obertshauseners wurde geweckt und er machte sich auf die Suche. Nach langen Bemühungen kam er an eine alte Katasterkarte heran, auf der der Brunnen eingezeichnet war. Harald Tenschert und seine Helfer machten sich an die Arbeit und legten den Brunnenschacht frei. Eine Menge Schutt und Müll mussten sie fortschaffen, bevor sie einen Blick in den 6,40 Meter tiefen Schacht werfen konnten, in dem das Wasser zirka zwei Meter hoch stand. ,,Ich habe bei Nachbarn herumgefragt, alten Obertshausenern, ob sie sich an den Brunnen erinnern können“, erzählte Harald Tenschert. Doch keiner konnte sich daran erinnern, den Brunnen vor dem Hause stehen gesehen zu haben. Der auf der Straßenseite gelegene Brunnen wurde nun wieder hochgemauert und mit den original Randsteinen versehen. Im Juni 1986 wurde er beim Altstadtfest der Öffentlichkeit präsentiert.

Die Scheune im Hinterhof ist in den 1920er Jahren verfallen. Aus den Resten bauten die damaligen Bewohner einen Stall, in dem bis nach dem zweiten Weltkrieg der „Ortsgaasbock“, der einzige Ziegenbock Obertshausens, lebte. Die Besitzerin ist deshalb alten Obertshausenern noch unter dem Namen „Gaasbock-Käthche“ bekannt.   

Ungewöhnlich wie fast alles in der 300jährigen Geschichte des Fachwerkhauses war natürlich auch das Richtfest des neu errichteten Wirtschaftsbaus, in dem später die Küche und Toilettenanlage ihren Platz fanden. Per Helicopter wurde die Richtkrone auf den Giebel des Anbaus bugsiert. Harald Tenschert berichtete in dem Zusammenhang, dass es anfänglich auch einige Schwierigkeiten mit der unteren Denkmalschutzbehörde gab. Später entspannte sich das Verhältnis aber zusehends und man arbeitete prima zusammen. Ein Mitarbeiter hat ihm dann sogar den Entwurf für die Haustür gezeichnet. Als Vorlage wählten sie dabei ein Modell aus dem „Lehrbuch für Bauschreiner aus dem Jahre 1890 aus. Die Tür, die aus schweren Eichenbrettern gezimmert wurde, wiegt vier Zentner.

An Pfingsten 1987 war das Werk vollbracht und bei einem Straßenfest wurde das neue Wirtshaus und der Biergarten eröffnet. Seit dieser Zeit wird das sehr schön restaurierte Fachwerkhaus nun auf diese Art genutzt.