17. Oktober 2021

H08 – Die Obermühle

Hausen der Zweimühlenort – Die Obermühle

Eine Besonderheit Hausens war lange die Tatsache, dass im Ort gleich zwei Mühlen betrieben wurden. Leider sind die historischen Gebäude seit dem letzten Jahrzehnt endgültig Geschichte, denn sie wurden inzwischen abgerissen und durch moderne Wohngebäude ersetzt.

Die Chronik „Unser Obertshausen“ weiß dazu folgendes zu berichten: „Das Mühlenwesen entwickelte sich in Hausen möglicherweise schon im 12. Jahrhundert; die ältere der Hausener Mühlen, die Untermühle, wurde im Jahre 1352 erstmals urkundlich erwähnt, und zwar anlässlich des Verkaufs durch einen Kraft von Langsdorf, Vogt zu Steinheim, an das Kloster Seligenstadt.“ Für das Mühlenhandwerk war die Lage an einem fließenden Gewässer die Voraussetzung. Die Untermühle lag an der Rodau – unweit des „Breiten Stegs“ hinter der Lämmerspieler Straße in Hausen. Auf alten Karten sieht man ihre Lage außerhalb des bebauten Gebiets. Die zweite Mühle existierte ab dem 15. Jahrhundert – und das mitten im Ort. Der Name „Mühlstraße“ erinnert noch heute an die Lage dieser jüngeren Mühle. Ihr Betrieb war erst möglich geworden, nachdem der Lauf der Rodau künstlich nach Westen verlegt wurde. Die Verlegung des Rodaulaufs ist seit 1498 beurkundet.

Die Mühlen waren, wie es bis zum Ende der Leibeigenschaft in Deutschland Anfang des 19. Jahrhunderts üblich war, im Besitz des jeweiligen Grundherren, der die Nutzungs- und Besitzrechte im Erblehen an einen Müller vergab. Das bedeutete, dass die Mühle in einer Familie über mehrere Generationen verbleiben und betrieben werden konnte. Dafür war ein Pachtzins zu errichten, und sollte der Beständer, also der Nutzer der Mühle, diesen für drei Jahre in Folge schuldig bleiben, konnte der Grundbesitzer die Besitzrechte vom Pächter einziehen und an einen anderen neu vergeben.

Mit der Einstellung des Mühlenbetriebes endete ein Kapitel der Wirtschaftsgeschichte – nicht nur – unserer Region. Im Zuge des technischen Fortschritts waren kleine Mühlen – seien sie nun wasser- oder windgetrieben gewesen – offenbar ein unbrauchbares Fossil vergangener Zeiten. Erst im Zuge der Besinnung auf den Natur- und Umweltschutz kamen und kommen die alten Weisheiten im Zuge der Zauberformel Dezentralität wieder zu eingeschränkten Ehren, denn natürlich ist es sinnvoller, örtliche Gegebenheiten zur Energieerzeugung bzw. -ausnutzung wahrzunehmen, als Energie über weite Strecken an den Ort zu transportieren, wo sie gebraucht wird. Allerdings muss sich deutlich vor Augen geführt werden, dass trotz etwa der Nutzung von Windmühlen an den Küsten und auf den Kammlagen von Gebirgen zur Stromerzeugung von einer Renaissance der klassischen Mühlentypen nicht gesprochen werden kann. Diese Epoche ist – auch für unsere Region unwiederbringlich vergangen.

Das Jurisdiktionalbuch des Amtes Steinheim erwähnt für das Jahr 1576 einen Klas Hofmann als Obermüller. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wird ein Nikolaus Winter als Nutzer der Mühlenrechte genannt. Ihm folgten Vater und Sohn Andreas Guldan. Um das Jahr 1750 erwarb Johann Heinrich Komo die Mühlenrechte. Als Erbe trat sein Sohn Johann Martin Komo die Müllerstelle an, der überdies von 1793 bis 1822 als Schultheiß von Hausen und als letzter Markmeister der Biegermark fungierte. Dessen Sohn Peter Komo jedoch verkaufte die Mühle im Jahre 1835 an einen Frankfurter Müller namens Johann Kasper Ziegler.

Mit dem Verkauf an Ziegler begann eine Zeit wechselnder Besitzverhältnisse an der Obermühle. Die Obermüller wechselten sehr häufig und die Mühle gelangte über Adam Sattler, Johann Graf, Georg Burlein, Ernst Pfalzgraf und Michael Mahler im Jahre 1853 in den Besitz der Firma Spicharz und Nollenberg, unter deren Regie in Offenbach eine Gerberei betrieben wurde. Den Wünschen der neuen Besitzer entsprechend wurde auch der Verwendungszweck der Obermühle geändert und sie wurde in eine Lohmühle umgewandelt. Aus Eichenrinde wurde der für den Vorgang des Ledergerbens notwendige Anteil an Lohe gemahlen. Ein gewisser Josef Döbert wurde der erste Lohmüller. Seine Nachfolge trat im Jahre 1875 Franz Jäger aus Hainhausen an, der sie an seinen Sohn – Michael Jäger II. – vererbte, von dem sie auf August Jäger, den letzten Müller der Obermühle überging.

Die Obermühle wurde nach dem Zweiten Weltkrieg noch auf elektrischen Betrieb umgerüstet und bis ins Jahr 1958 weiterbetrieben. Im Rahmen der Flurbereinigung und zum Schutz vor Hochwasser, wurde die Rodau in ihr heutiges Bett, außerhalb der Bebauungsgrenze verlegt. Sicher hatte auch das stark wachsende Industriegebiet seinen Teil dazu beigetragen. Einen Industriezubringer gab es zu dieser Zeit noch nicht, und so mussten der komplette Verkehr, der z.B. durch die Firma YMOS verursacht wurde, über die Mühlstraße durch den Ort geführt werden. Eine entsprecht aufwendige Brücke wäre nötig geworden, hätte an der Stelle noch die Rodau die Mühlstraße gekreuzt. Somit war ein Weiterbetrieb der Mühle mangels Wasseranbindung nicht mehr möglich und musste daher aufgegeben werden.

Durch eine Verbreiterung der Mühlstraße verlor die Obermühle einen Teil ihres Anbaus und in den weiteren Jahren verfiel sie zusehends immer mehr und viel in den sprichwörtlichen Dornröschenschlaf. „Wachgeküsst“ wurde sie allerdings nicht, denn in den 2000er Jahren verschwand sie endgültig und wurde durch einen Neubau ersetzt.
Leider war dies kein einmaliger Vorgang. Immer wieder werden in Obertshausen und Hausen alte, eigentlich erhaltenswerte, Gebäude abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Während anderswo, wie z.B. in Mühlheim, das kulturelle Erbe erhalten wird und eine Bereicherung der jeweiligen Ortskerne darstellt, werden in Obertshausen leider allzu oft historische Gebäude für scheinbar höhere Ziel geopfert. Zurück bleibt eine Kommune, die immer gesichtsloser, man könnte auch sagen geschichtsloser wird. Schade darum.