23. Oktober 2018

Chronik-05: Der Erste Weltkrieg

Chronik der Stadt Obertshausen von 1993
Obertshausen und Hausen im Strom der Zeit

Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs in Obertshausen und Hausen

von Historiker Dr. Jörg Füllgrabe

 

Der Erste Weltkrieg

Ebenso wenig, wie der Dreißigjährige Krieg durch den Prager Fenstersturz ausgelöst wurde, ist die Ursache für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges in der Ermordung des habsburgischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gemahlin zu suchen, die am 28. Juni 1914 in Sarajewo erfolgte. In beiden Fällen handelt es sich um Auslöser, die als Ventil und vor allem Vorwand für etwas dienten, was von den Verantwortlichen schon geraume Zeit vorher ins Kalkül gezogen worden war: den Krieg.

Der Doppelmord von Sarajewo stand am Ende einer langen Reihe von Krisen auf dem Balkan, die seit 1908 anhielten und in den beiden Balkankriegen von 1912 und 1913 ihren Höhepunkt fanden. Darüber hinaus war die Krisensituation nicht nur auf den Balkan beschränkt, sondern erstreckte sich aufgrund des labilen politischen Gesamtsystems über ganz Europa. Kriegsverursachend waren machtpolitische Gegensätze, die das Gleichgewicht der europäischen Staaten erschütterten, der Rüstungswettlauf der großen Mächte, an dieser Stelle sei nur an den deutsch-britischen Flottenbau erinnert, der die Züge eines Duells angenommen hatte, sowie die Probleme innerhalb des österreichisch-ungarischen Vielvölkerstaates. In dieser allgemeinen Destabilisierung wirkten sich die politischen Vorgehensweisen der europäischen Politiker verheerend aus. Zu erinnern sei hier an den Verlust des defensiven Charakters der europäischen Bündnisse, der verstärkte Druck des russischen Zarenreiches auf den Balkan und in der letzten Vorkriegsphase – die überstürzten Mobilmachungen und Ultimaten1).

Diese Maßnahmen forcierten eine Entwicklung, die sich im Sinne eines Selbstläufers bis hin schließlich zum Kriegsausbruch entladen sollte. Der – vor allem auf deutscher Seite – verbreitete Gedanke, ein begrenzter europäischer Krieg sei nicht zu vermeiden sondern im Gegenteil als „reinigendes Gewitter“ sogar positiv zu bewerten, führte zu einem Hinnehmen des Krieges, ja sogar zu einer ausgeprägten Kriegsbegeisterung. Die Wirkungen waren nicht absehbar – am Ende des Krieges sollte sich die politische Landschaft Europas deutlich und entscheidend gewandelt haben.

Die Kriegsbegeisterung in Deutschland lässt sich vor allem an der Zustimmung der Sozialdemokraten zu den sogenannten Kriegskrediten festmachen. Selbst der Kaiser verstieg sich zu der Behauptung, er „kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche“. Die auch von den Sozialdemokraten mitgetragene Zustimmung zu den Kriegskrediten und damit letztlich zur Kriegsführung überhaupt war allerdings ein nicht auf Deutschland beschränktes Phänomen. Europaweit waren die Kräfte der Arbeiterbewegung bereit, ihre Zustimmung zum Krieg bzw. dessen Finanzierung zu geben und nahmen damit von der Idee der völkerübergreifenden Solidarität der Arbeiter Abschied2).

Diese Kriegsbereitschaft, ja Kriegsbegeisterung markiert einen Umschwung im Denken. Die Arbeiter fühlten sich mehr als Angehörige ihrer jeweiligen Nation, als dass sie sich einer übernationalen Klasse zugehörig empfanden. Dies war umso einfacher möglich, weil jede Nation der Fama anhing, der Krieg sei ein Defensivkrieg oder zumindest ein durch die äußeren Umstände „aufgezwungener“ Krieg. Dadurch ist vielleicht erklärlich, dass die kriegerische Stimmung selbst jene Massen erfasste, die kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges noch eindringlich für den Frieden demonstriert hatten3).

Kriegserklärungen, Ultimaten und trotziges Beharren auf Positionen, die durch geschickte Diplomatie nicht in die verfahrene Situation eines Krieges hätten führen müssen, kennzeichnen die Umstände des Kriegsausbruchs. Hauptkriegsmächte der sogenannten Entente waren Frankreich, Großbritannien und Russland. Auch Italien trat auf Seiten der Entente in den Krieg ein. Die sogenannten Mittelmächte wurden durch Deutschland und das österreichische Kaiserreich dominiert4).

Die Anfangserfolge der Mittelmächte im Osten stärkten diejenigen politischen Kräfte, die in der offensiven Kriegsführung einen Weg zur Durchsetzung ihrer Interessen sahen. Allerdings scheiterte diese offensive Strategie sehr bald, so dass sich an der Westfront die sogenannten Stellungskriege entwickelten, in deren Verlauf es zu den zermürbenden Materialschlachten kam, so dass eine militärische Entscheidung nicht allein durch die klassischen Methoden militärischer Strategie sondern in erster Linie durch die Möglichkeit Materialnachschub heranzuschaffen und einzusetzen herbeigeführt wurde. Ein Novum in der Geschichte der Kriegsführungen war zum einen der Einsatz einer Luftwaffe und- in Form von Gasangriffen-die erstmalige Verwendung von Massenvernichtungswaffen.

Im Westen war es vor allem die Schlacht um Verdun, in der die Sinnlosigkeit der Kriegsführung deutlich wurde. Die Erfolge im Osten konnten allerdings nur dadurch gesichert werden, dass die revolutionären Kräfte im Zarenreich unterstützt wurden, vor allem durch die berühmte Bahnfahrt Lenins. Die Flotte, das „Lieblingsspielzeug“ des deutschen Kaisers, erwies sich der britischen Seemacht als unterlegen, so dass die deutsche Seekriegsleitung mit der Aufnahme des U-Boot Krieges die einzige Möglichkeit eines effektiven Einsatzes deutscher Seestreitkräfte sah. Allerdings führte dieser Einsatz 1917 zum Kriegseintritt der Vereinigten Staaten, der die Niederlage der Mittelmächte rasant beschleunigte 5).

Die Illusionen über den Kriegsverlauf konnten in Deutschland in der breiten Öffentlichkeit erstaunlich lange aufrechterhalten werden. Selbst als ungünstige Entwicklungen ein Erreichen der Kriegsziele erkennbar unmöglich gemacht hatten, wurde an den Kriegshandlungen weiter festgehalten. Die Devise war nun der sogenannte Siegfriede – eine Friedensmöglichkeit, die auf der Vorstellung beruhte, dass Verhandlungen aus einer Position der Stärke einen Friedensschluss ohne „Gesichtsverlust“ zulassen würden.

Aufgrund dieser bis kurz vor dem tatsächlichen Kriegsende genährten Illusion vermeintlicher Stärke wirkt die totale Kapitulation, die mit dem Waffenstillstand vom 11.11.1918 eingeleitet und der Unterzeichnung des Friedensvertrages am 28.6.1919 in Versailles vollendet wurde, auf die unvorbereitete deutsche Bevölkerung wie ein Schock. Innenpolitisch führte dies zunächst zu den Einrichtungen der Arbeiter­ und Soldatenräte sowie einer grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse, an deren Ende die Beseitigung der Monarchie und als neue Staatsform die Republik stand. Wohl entscheidender allerdings war, dass sich aufgrund der Vorstellung von der vermeintlichen Stärke der deutschen Heere die Idee einschleichen konnte, diese seien „im Felde unbesiegt“ durch einen heimtückischen „Dolchstoß“ aus der Heimat quasi von innen heraus um den Sieg gebracht worden. Dies sowie die unüberlegten Härten des Friedensvertrages von Versailles boten einen gefährlichen Nährboden für die Feinde der jungen Republik. Endpunkt dieser Entwicklung war die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur6).

 

Anmerkungen:

1)      vgl. dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Bd. 2, S. 121ff

2)      vgl. B. Engelmann, Vorwärts und nicht vergessen, S.280ff.

3)      vgl. K. Werner/M. Matthes/J. Füllgrabe, 100 Jahre SPD Hausen, S. 38

4)      vgl. dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Bd. 2, S. 122

5)      vgl. Taschenlexikon Geschichte, Bd. 6, S. 234ff.

6)      vgl. K. Werner/M. Matthes/J. Füllgrabe, 100 Jahre SPD Hausen, S. 41f.

 

Obertshausen im Ersten Weltkrieg

Die Verhältnisse zu Beginn des Ersten Weltkrieges in Obertshausen dürften sich nicht wesentlich von denen im gesamten deutschen Reich unterschieden haben. Explizit ist eine „Kriegseuphorie“ zwar nicht überliefert, aber dieses reichsweite Phänomen wird sicherlich auch in. Obertshausen und Hausen zu beobachten gewesen sein.

Auch der Ort Obertshausen hatte die Folgen des Krieges bzw. der militärischen Vorbereitungen für die Kampfhandlungen zu tragen. So wird in einer öffentlichen Bekanntmachung zur „Quartierverpflegung der Truppen während des Aufmarsches“ „den Gemeinden nach ausgesprochener Mobilmachung dringend empfohlen, bei Einquartierung die Verpflegung von Mann und Pferd gegen Barzahlung zu übernehmen“. Diese „dringende Empfehlung“ besaß durchaus einen unterschwelligen Drohcharakter, denn es heißt weiter: „An der Berechtigung der Truppen, die Gewährung von Verpflegung und Futter aufgrund des Kriegsleistungsgesetzes gegen Bescheinigung zu fordern, wird hierdurch nichts geändert. Von diesem Rechte muss überall da Gebrauch gemacht werden, wo Verpflegung und Futter nicht freiwillig gegen Barzahlung gewährt werden“. 1)

Der auch für Obertshausen gültige Mobilmachungstag war übrigens der zweite August 1914.2) Bereits kurz darauf, am vierten August erging eine Bekanntmachung der Generalität, in der darauf verwiesen wurde, „dass alle Geschäfte, welche die Annahme von Papiergeld verweigern oder Wucherpreise für Lebensmittel nehmen, rücksichtslos geschlossen werden. 3) Diese Bekanntmachung macht zweierlei deutlich, die Gefahr, dass sich an der Notwendigkeit der Nahrungsmittelbeschaffung unredlich bereichert werden konnte und auch darauf, dass es mit der Finanzkraft des Kaiserreiches nicht so gut stand, als das man auf ein Funktionieren der Papierwährung nicht angewiesen gewesen wäre. Offenbar waren die in Umlauf befindlichen Papiergeldbeträge nur zum Teil gedeckt.

Diese heimlich gehegten Befürchtungen entbehrten gewiss nicht der Grundlage, so dass die dringende Forcierung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, wie sie in einem Schreiben des Großherzoglichen Kreisamtes vom Januar 1917 zum Ausdruck kommt 4), in diese  Richtung weist. Dort heißt es unteranderem: „Im volkswirtschaftlichen Interesse ist es dringend geboten, dass der bargeldlose Zahlungsverkehr tunlichst  erweitert  wird“ und „Die öffentlichen Sparkassen des Landes werden es in Zukunft als ihre besondere Aufgabe betrachten, den bargeldlosen Verkehr zu fördern. Es ist in Aussicht genommen, dass schon über einen Betrag von 1.- Mk. bargeldlos verfügt werden kann“5).

Auch in Obertshausen ging die Musterung der Einberufung voraus und wenn im Jahre 1917 dreiundsechzig steuerpflichtige Personen aus der Gemeinde „zum Heere einberufen“ waren 6), deutet sich eine Tendenz an, die auch in Hausen zu beobachten ist. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges war die Zahl der Eingezogenen relativ gering und nahm im Laufe der Kriegsdauer in erheblichem Maße zu.

Was über die Kriegsbegeisterung unter den in der Arbeiterbewegung organisierten Männern bereits weiter oben ausgesagt wurde, gilt auch für Obertshausen. Der Gesangverein Concordia und der Arbeiter-Radfahrerverein Obertshausen setzten in das „Offenbacher Abendblatt“ vom 23. Dezember 1915 eine Anzeige für Peter Reitz, der „den Heldentod fürs Vaterland erlitt (…) im schönsten Alter von 19 Jahren“.

Mitgliederversammlungen des Obertshausener Sozialdemokratischen Vereins wie etwa die zum 1. Mai 19157) machen deutlich, dass – anders als offenbar in Hausen – die Parteimitglieder  während des Krieges weiterhin aktiv blieben. Die Konsum-Abteilung des Sozialdemokratischen Vereins, von deren Existenz in Obertshausen wir aus einer Einladung zur Jahresversammlung für 1915 erfahren8), gewann mit den alltäglichen Versorgungsschwierigkeiten während der Kriegszeit, die eine exorbitante Steigerung der Preise bei gleichzeitiger Verknappung der Nahrungsmittelmengen mit sich brachte, eine neue Notwendigkeit.

Der Lauf des Krieges hatte dennoch offenkundig wenig Einfluss auf die Bereitschaft, das persönliche Leben möglichst unter „Friedensbedingungen“ weiterzuführen. Während das „Offenbacher Abendblatt für Obertshausen das „silberne Ehejubiläum“ des Gemeinderatsmitgliedes Jean Mayer und seiner Frau Wilhelmine bekanntgab, wird etwas weiter unten unter der Überschrift „Neue Friedensbedingungsäußerung bevorstehend“ die Möglichkeit einer Beendigung des Krieges erörtert.9) Diese Meldung von 1917 allerdings hatte mit der Realität wenig gemein, es sollten noch fast zwei Jahre vergehen, bis der Krieg beendet wurde.

Ein bemerkenswerter Unterschied zu den Ereignissen in Hausen liegt darin, dass die Glocke der Herz Jesu-Kirche offenbar nicht eingeschmolzen wurde; im Gegenteil: Während die zinnernen Orgelprospektpfeifen der Hausener Josefskirche eingezogen und umgeschmolzen wurden, erhielt die katholische Kirche in Obertshausen im Jahre 1917 eine neue Orgel

Das Ende des Krieges brachte gewiss auch in Obertshausen eine Zuspitzung der Geschehnisse. Inwieweit in Obertshausen ein Arbeiter- bzw. Bauern- und Soldatenrat bestand, ist ungewiss. Dennoch werden die Unruhen der Zeit, die Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern der Republik, auch in Obertshausen gegenwärtig gewesen sein. Immerhin gibt es eine Anweisung vom Kreisamt Offenbach, „die· Tätigkeit der· Werbestellen und Vertrauensleute, die auf die Werbung von Freiwilligen für die Reichswehr-Verbände abzielt, auf Anfordern in geeigneter Weise zu unterstützen“ 11).

Mit diesen Freiwilligen war die Bildung von Freikorps gemeint, die wohl zunächst zur Verteidigung der Republik gebildet wurden, sich jedoch aufgrund der politischen Anschauungen ihrer Offiziere als erbitterte Gegner des demokratischen Systems herausstellten und mit zum Untergang der Weimarer Republik beigetragen haben. Allerdings ist kaum anzunehmen, dass die dramatischen Ereignisse im Umfeld der Novemberrevolution in Obertshausen tiefgreifende Änderungen ausgelöst hätten – die Strukturen vor Ort waren zu ausgeprägt.

 

Anmerkungen:

1)      StAOH, VIII/8/-/5

2)      StAOH, VIII/8/-/1

3)      StAOH, XXIII/3/-/1

4)      StAOH, XXIII/3/-/5

5)      StAOH, XXIII/3/-/5

6)      StAOH, VIII/1/-/58

7)      Offenbacher Abendblatt, 30.4.1915

8)      Offenbacher Abendblatt, 27. 11 .1915

9)      Offenbacher Abendblatt, 4.5.1917

10)    H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 101

11)    StAOH, VIII/1/-/59

 

Hausen im Ersten Weltkrieg

Die Verhältnisse zu Beginn des Ersten Weltkrieges in Hausen dürften sich nicht wesentlich von denen in Obertshausen unterschieden haben. Die erste und unmittelbarste Folge, die sich für die männlichen Einwohner des Ortes ergab war die Möglichkeit der Militärdiensttauglichkeit und damit der Fronteinsatz. Zur Bestimmung des Tauglichkeitsgrades waren Musterungen notwendig, die für die Jahrgänge 1885 bis 1888 am 20. Oktober 1914 stattfand. Aus dieser Liste geht hervor, dass die meisten Hausener zur Infanterie eingezogen wurden und im Zivilleben überwiegend Portefeuiller waren 1).

Eine 1917 angelegte „Rekrutierungs-Stammrolle“.2)  für die Hausener des Jahrgangs 1897 enthält dreizehn Namen. Auch hier sind die persönlichen Daten sowie die Zivilberufe erfasst. Der Vergleich mit der Musterung vom Oktober 1914, die für den Geburtsjahrgang 1897 lediglich fünf Namen ausweist, macht deutlich, dass der Bedarf an Soldaten im Laufe des Krieges gestiegen sein muss, da vermutlich auch die weniger „frontfähigen“ Männer dieses Jahrgangs zum Einsatz kamen. Die Ursachen hierfür sind wohl im Kriegsverlauf zu suchen: Aus der offensiven Bewegungskriegsstrategie der ersten Monate, die von der Begeisterung der Bevölkerung getragen wurde, hatte sich ein zermürbender Stellungskrieg entwickelt.

Diese Begeisterung ging sicherlich durch die immer häufigere Konfrontation mit dem Tod oder der Kriegsgefangenschaft der eingezogenen Männer zurück, während die allgemeinen Lasten immer deutlicher spürbar wurden. Neben dem Dienst mit der Waffe wurde ein vaterländischer Hilfsdienst  eingerichtet, der die „Heimatfront“ stärken sollte. Ein Verzeichnis der für diesen „Hilfsdienst“ rekrutierten umfasst für die Zeit vom 26. bis 30. März 1917 45 Namen3) – ein weiterer Hinweis darauf, dass der Krieg das Wirtschaftsleben des Ortes stark beeinträchtigte.

Daher ist ein Brief aus der Lederwarenfabrik  „D. Heymann“ an die Bürgermeisterei von „Hausen bei Obertshausen“ vom 20. August 1917 symptomatisch, in der es heißt: „Die ganz ergebenst unterzeichnete Firma bittet die für sie arbeitenden… von der Verpflichtung zum Hilfsdienst befreien zu wollen. Die beiden Genannten sind die beiden einzigen mir noch verbliebenen älteren Arbeiter, auf deren weitere Tätigkeit ich im Interesse der Aufrechterhaltung meines Betriebes, in welchem ich heute viele Kriegerfrauen beschäftige, angewiesen bin. Ich bitte verehrliche Bürgermeisterei  um Berücksichtigung  meines Gesuches und bin gerne bereit, anstatt der beiden Obengenannten, andere entbehrliche Leute für den Hilfsdienst namentlich zu machen.4)

Allerdings machte sich wirtschaftlich nicht nur das Fehlen der zum Militärdienst eingezogenen Männer bemerkbar, auch Pferde mussten ihren „Dienst“ antreten, das heißt sie wurden für den Einsatz in der Armee eingezogen. Am 28. November 1917 wurden elf Pferde von Hausener Bauern gemustert. Allerdings scheint man im Großherzoglichen  Kreisamt  nicht ganz zufrieden gewesen zu sein. In einem Schreiben vom 29. Dezember 19175) wird der Bürgermeister aufgefordert, Angaben nachzutragen. Vor allem gilt dies für „Beutepferde“, deren Herkunftsort – man wollte offenbar Entschädigungen einsparen – vermerkt werden sollte sowie krank gemeldete Tiere, für die ein tierärztliches Attest erforderlich sei. Dieses Schreiben galt allerdings wohl nicht nur für Hausen, da es sich bei dem Schreiben um einen an alle im Kreisgebiet liegenden Bürgermeistereien adressierten Standardbrief handelt.

Der Verlauf des Krieges machte es immer notwendiger, die geschwächte Finanzsituation des Reiches durch zusätzliche Mittel aufzustocken. Die „zurückhaltendste“ Form waren die sogenannten Kriegsanleihen. Diese in Form von Schuldverschreibungen vergebenen Optionen auf wirtschaftlichen Gewinn nach dem Sieg wurden bereits sehr früh in Umlauf gebracht. Dabei wurde eine dramatische Werbestrategie gewählt: „Behielten die Feind die Oberhand, dann wäre es um unseren Wohlstand und unser Gedeihen geschehen, vielleicht für immer! (…)Darum auf! Zeichne jeder der kann, und so viel er irgend kann, auf die 5. Kriegsanleihe! Wir müssen siegen! 6)

Drastischere Formen nahm die Beschaffung von Finanzen und vor allem „kriegswichtigem Material“ an, als es darum ging, Kirchenglocken, Orgelpfeifen und ähnliches einzuschmelzen, um kriegswichtige Güter herzustellen. In Hausen wurde die katholische Josefskirche im Zuge der „Pflicht für das Vaterland“ um ihr Geläute erleichtert. Die Glocken der Kirche erbrachten  mit ihrem Gesamtgewicht  von 1180 Kilogramm  eine Gesamtentschädigung von 4540 Reichsmark, darunter befand sich auch ein Prämienanteil von 1180 Mark, für die termingerechte  Ablieferung der Glocken bis zum 31. Juli 1917.7) Die Beschlagnahme der Orgelprospektpfeifen versuchte der katholische Kirchenvorstand in einem Brief vom Juli 19178) – letztlich allerdings vergeblich abzuwenden.

Der Kriegsverlauf erforderte allerdings nicht nur die Beschaffung von kriegswichtigem Material, sondern vor allem die Bereitstellung von Soldaten. Bereits 1915 war der Bedarf an Menschen so groß, dass Musterungen des sogenannten „unausgebildeten Landsturms“ angeordnet wurden. Ein Schriftstück vom 3. Mai 1915 ordnet die Musterung der „Jahresklassen 1874 bis 1863″ an. Ebenfalls gemustert werden sollten die“zurückgestellten Militärdienstpflichtigen der Jahrgänge 1895, 1894 sowie der Restanten früherer Jahrgänge“ 9)·In den späteren Jahren wiederholten sich solche Musterungen regelmäßig, wobei man bestrebt war, jeden irgendwie verwendungsfähigen Mann einzuziehen.

Bereits seit 1914 wurden sogenannte „Vorratsermittlungen“ erhoben, die deswegen nötig waren, weil es für die Maßnahmen zur Sicherung unserer Volksernährung während der Kriegszeit und besonders für die rechtzeitige Verbrauchsregelung des Brotgetreides“ von größter Wichtigkeit war „schon zu Beginn des neuen Erntejahres möglichst sichere Unterlagen für die Schätzung des Ernteertrages zu gewinnen“.10)

Die „Spendenfreudigkeit“ der Bevölkerung wird an fo1genderm Aufruf deutlich: „Deutsche Frauen und Männer gebt Kupfer, Messing, Rotguß, Tombak, Bronze! Unsere Krieger brauchen es! (…) Die Sammelstelle zahlt die auf der Rückseite angegebenen Preise und dazu bis zum 30. September 1917 (…) 1 M. Zuschlag für das kg. Später wird enteignet; dann müsst Ihr abliefern, erhaltet aber den Zuschlag nicht. Liefert schnell ab, als freiwillige vaterländische Tat!“ 11) (Hervorhebung vom Verfasser)

Allerdings konnten die vielen „freiwilligen vater1ändischen Taten“ den Kriegsausgang nicht mehr beeinflussen. Noch im August des Jahres 1918, also kurz vor der deutschen Niederlage, wurden 133 Kilogramm kupferne Altwaren aus Hausen an die „Kriegsmetall Aktiengesellschaft“ geschickt 12), aber auch dieses Opfer war für den Ausgang des Krieges natürlich irrelevant.

Gegen Ende des Krieges erwachte die Hausener Sozialdemokratie aus ihrem Dornröschenschlaf. Es wäre beschämend, so heißt es im „Offenbacher Abendblatt“13) „wenn jetzt, wo überall wieder neues Parteileben auf der Grundlage der Entschlossenheit zur Parteieinheit einsetzt, gerade Hausen noch länger indifferent bleiben wollte“. Die in diesem Artikel beschworene „Einheit der Partei“ bezog sich wohl auf die im April 1917 erfolgte Gründung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei CUSPD), mit der die Einheit unwiederbringlich verloren war. Es gab in Hausen offenbar keinen Arbeiter- und Soldatenrat 14), dennoch blieben die Verhältnisse zum Kriegsende hin durch die politischen Umbrüche nicht unberührt.

Der Erste Weltkrieg hat unter den aus Hausen stammenden Soldaten insgesamt 44 Todesopfer gefordert. Das erste Opfer war der am 28.8.1888 geborene Kaspar Ott, der am

  1. August 1914 fiel, der letzte Hausener Soldat, der den „Tod fürs Vaterland“ starb war Andreas Döbert. Döberts Tod erscheint in mehrfacher Hinsicht als symptomatisch für die Sinnlosigkeit des Krieges, kaum neunzehnjährig fiel er am 10.11.191815) – einen Tag vor der Unterzeichnung des Waffenstillstandes.

  

Anmerkungen:

1)      StAH, VIII/2/41

2)      StAH, VIII/1/4

3)      StAH, VIII/19/24

4)      StAH, VIII/19/28

5)      StAH, VIII20/4

6)      StAH, VIII/20/17

7)      StAH, VIII/51/6

8)      StAH, VIII/51/7

9)      StAH, VIII/3/19

10)    StAH, VIII/68/5

11)    StAH, VIII/59/12

12)    StAH, VIII/51/15

13)    Offenbacher Abendblatt, 19.6.1917

14)    Interview mit Sebastian Ott vom 30.6.1992

15)    J. Seuffert, Unser Hausen, S. 76f.