Auf Zeitreise durch das alte Hausen: Als es elf Tankstellen und zwölf Krämerläden gab

Heimat- und Geschichtsverein lädt ein zum historischer Spaziergang durch Hausen. Die Besucher erleben eine kleine Stadt, die mit dem Hausen von heute nur noch wenig zu tun hat.

Offenbach Post, 15. Juli 2025 – von Michael Prochnow

Vier Schuhmacher, drei Drogerien, zwölf Krämerläden und ein halbes Dutzend Metzgereien – das waren Zeiten. Und es ist noch keine 60 Jahre her, als zwischen Kapellen- und Seligenstädter Straße vier Bäckereien um Kundschaft buhlten. Bis in die 70er Jahre zählte Jochen Roth elf Tankstellen – allein in Hausen Mit Armin Paul vom Heimat- und Geschichtsverein (HGV) führte er jetzt rund 40 Interessierte durch den alten Ort.

Die Strecke führte vom Marktplatz über Kurt-Schumacher-, Kapellen- und Steinheimer Straße bis zum Friedhof Schwarzbachstraße. Die beiden Stadtführer wussten fast vor jedem zweiten Haus ein Stück Geschichte aus dem einstigen Dorf zu erzählen und mit vergrößerten und laminierten Fotos zu belegen.

Zum Bürgermeister ging man in dessen Privaträume

Sie zeigen auch die gemeindeeigene Waage und das Wieghäuschen, die bis in die 50er Jahre die Ortsmitte prägten. Auf dem Platz wurde auch die Kerb gefeiert, später wurde er noch um öffentliche Toiletten bereichert. Sie verschwanden mit der Umgestaltung zum Jahrtausendwechsel. Schon vorher war das Kriegerdenkmal von 1928 entfernt worden.

Dort, in Höhe der jetzigen Haltestelle, wurden Aufmärsche exerziert, denn Hausen beherbergte zeitweise Soldaten einer bayerisch-thüringischen Abteilung, belegen Fotografien. Bis Anfang der 60er führte die Ortsdurchfahrt, selbst die Buslinie, noch durch die heutigen Schumacher- und Kapellen- sowie durch die enge Lämmerspieler Straße.

Ein Rathaus brauchte das Dorf lange nicht, die Bürgermeisterei war stets in den Privaträumen des Rathauschefs eingerichtet. Bis der demokratisch gewählte Amtsinhaber Bernadus 1933 von den Nazis durch den Dietzenbacher Bäckergesellen Hecker abgelöst wurde. Für ihn wurde das kleine Gebäude neben dem rückwärtigen Eingang zur Schule hergerichtet, auch die Polizeistation war in einem Raum untergebracht.

Ähnlich praktizierten sie es mit dem Unterricht, der 1731 zuerst in der Wohnung des Lehrers auf dem Gelände des heutigen Kapellenhofs und im Saal der Gaststätte „Zur Sonne“ gegenüber lief. 1902 wurde die Friedrich-Fröbel-Schule errichtet, 1908 und ‘13 erweitert, ‘49 und ‘50 großzügig umgebaut. 2008 wurde sie vom Kreis geschlossen, der sie aufgrund dieser Tatsache hätte an die Kommune zurückgeben müssen.

Das geschah jedoch erst nach der Zahlung von 400 000 Euro, weil die Einrichtung nach Lesart des Kreises an der Waldschule weitergeführt wurde. Was mit dem historischen Gebäude geschieht, stehe noch immer nicht fest, hieß es. Es müsse jedoch gewartet und im Winter beheizt werden, die Turnhalle werde noch von Vereinen genutzt.

Für den Parkplatz wurden drei Häuser abgerissen. Bis 1850 wurden sie noch mit Fachwerk errichtet, danach aus Backsteinen. Weil die Häuser aber noch keine Bäder enthielten, nutzten viele Bewohner den Baderaum in der Schule, später sogar noch die Duschen im Waldbad, berichtete Paul.

Im „Goldenen Engel“ wurden geturnt und „linke“ Lieder gesungen

Das „Bella Vista“ hieß lange „Zur Traube“, informierte Roth, im Volksmund war die Gaststätte das „Ställchen“. Ein paar Meter weiter war die Gastwirtschaft „Goldener Engel“. Sie war aber auch Gymnastikraum und Treffpunkt des Turnvereins, denn Wirt Karl Kreher war dessen Vorsitzender. Auch die SPD und die „linke“ Sängervereinigung, nach dem Krieg aus Germania und Liederkranz hervorgegangen, waren hier zu Hause.

Die alte Kapelle wurde 1728 mitten auf der Gass‘ gebaut, weil sonst kein Platz war. 1832 wurde die erste Glocke aufgehängt, ‘48 die erste Messe gelesen, doch erst ‘56 wurde sie geweiht – und 1900 schon wieder abgerissen. Denn 1899 wuchs am Marktplatz, dem damaligen Ortsrand, die St. Josefskirche, nach deren Plänen auch St. Sebastian in Dietesheim entstand.

Als Damen über die Rodau ruderten

Bis 1924 war die Gemeinde Pfarrkuratie von Lämmerspiel. Mit einem eigenen Pfarrer wurden auch eigene Kirchenbücher und somit eine Chronik der Ortsgeschichte geführt. Jochen Roth verglich die aktuellen Bauten mit den früheren Gastwirtschaften. Am Biergarten hinterm Schützenhof, damals Heimat des Schützenvereins Diana, floss die Rodau vorbei. Auf Ansichtskarten ist dort ein Ruderboot mit Damen zu erkennen.

Hinter Gasthaus und Metzgerei „Treppchen“ gegenüber befand sich das erste Spritzenhaus mit Kerker. Das HGV-Duo erinnerte an die Flächen des Baugeschäfts Vetter, das auch das Bürgerhaus als eines der ersten in Hessen, Kirche und Sparkasse erstellt hat. Vorbei an der „Krone“ ging‘s nach „Sachsenhausen“, wie die Bevölkerung das neue Viertel jenseits „der Bach“ genannt hatte. Zwei von ehemals drei Fahrradgeschäften waren hier fast nebeneinander ansässig. Doch auch diese Zeiten sind vorüber.

Zwei sachkundige Begleiter durch die Ortsgeschichte: Armin Paul (links) und Jochen Roth. © Michael Prochnow
Auf großes Interesse stieß das Angebot des Heimat- und Geschichtsvereins, der zu einem historischen Spaziergang durch den alten hausener Ortskern einlud. © Michael Prochnow