23. Oktober 2018

Chronik-03: Die frühe Neuzeit

Chronik der Stadt Obertshausen von 1993
Obertshausen und Hausen im Strom der Zeit

Die frühe Neuzeit in Obertshausen und Hausen

von Historiker Dr. Jörg Füllgrabe

 

Die frühe Neuzeit

Die beim Kapitel „Mittelalter“ angedeuteten Definitionsprobleme ergeben sich auch für die Epoche der Neuzeit. Auch hier lässt sich kaum ein Schwellenjahr angeben, von dem an mittelalterliche Denk- und Gesellschaftsstrukturen aufgehört haben zu existieren und an ihre Stelle neue Werte getreten sind. In Einzelfällen, wie etwa der Leibeigenschaft oder dem Steinheimer Zentgericht, haben sich mittelalterliche Verhältnisse ja sogar bis fast zur Gegenwart erhalten.

Wann aber begann die sogenannte Neuzeit? Auch hier lassen sich verschiedene Datierungsansätze erkennen. Ein früher und im Allgemeinen akzeptierter Beginn wird etwa mit der Landung von Kolumbus in Amerika – also 1492 – oder dem Beginn der Reformation – mit 1517, dem Jahr des Thesenanschlags Luthers – angenommen. Daneben wird der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1618 als Grenzwert angegeben. Sehr späte – und kaum akzeptierte – Daten für den Beginn der Neuzeit sind die Französische Revolution oder gar erst der Beginn der Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Um sich aus der Verlegenheit einer allzu engen Festlegung zu befreien, wurde der Begriff der frühen Neuzeit eingeführt, wobei dieser Epoche stillschweigend fast der Status der Selbständigkeit zuerkannt wird.

Allerdings sind diese Datierungsfragen und -unterschiede nicht nur akademisches Elfenbeinturmgeplänkel, sondern haben einen durchaus praktischen Hintergrund. Interessant ist hierbei der historische Ausgangspunkt, Kirchenhistoriker werden eine andere Datierungsgrenze bevorzugen als Wirtschaftsgeschichtler. Aus dieser Berücksichtigung des ereignisgeschichtlichen Ablaufes wird auch in dieser Chronik der Beginn der Neuzeit – zumindest als Kapitel – mit dem Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges relativ spät angesetzt. Mit diesem verheerenden Ereignis sind deutlich einschneidende Veränderungen zumindest in der dörflichen Bevölkerung Hausens und Obertshausens verbunden.

 

Obertshausen in der frühen Neuzeit

Die immer wieder aufflammenden konfessionellen Gegensätze führten – nicht zuletzt aufgrund der katholischen Gegenreformation – schließlich zu Spannungen, derer man sich nur durch die Führung eines Krieges entledigen zu können glaubte. Mit dem „Prager Fenstersturz“ des Jahres 1618 ergab sich ein Auslöser und Vorwand zum Beginn des sogenannten Dreißigjährigen Krieges, der als konfessionelle Auseinandersetzung mit Waffengewalt begann und in seinem Verlauf zu einem sinnlosen Gemetzel wurde, dessen Sinn nur noch im Ausleben des Tötungsrausches bestand.

Die Folgen des Dreißigjährigen Krieges betrafen Obertshausen in hohe Masse. Die ersten relativ ruhigen Jahre des Krieges hatten mit dem Einrücken der Schweden im Jahre 1635 ein Ende. Sollte die Bevölkerung von den „befreundeten“ kaiserlich-katholischen Truppen die Befreiung und bessere Zeiten erhofft haben, wurde sie rasch eines besseren bzw. schlechteren belehrt.1)

Der militärische Bereich beherrschte allerdings nicht erst seit der Zeit des Dreißigjährigen Krieges die Region. Ein Vermerk aus dem Salbuch des Amtes Steinheim vom April des Jahres 1564 ist in dieser Hinsicht recht aufschlussreich. Demnach waren die dem Amt Steinheim zugehörigen Dörfer zur Stellung von sogenannten Raiß Wagen verpflichtet, diese Fahrzeuge waren für den militärischen Einsatz bestimmt und dienten dem Transport von Munition, Material und Verpflegung in seltenen Fällen wohl auch einmal dem Transport von Verwundeten. Obertshausen war – zusammen mit Hausen und Bieber – zur Stellung von zweier solcher Gefährte verpflichtet.2)

Die militärische Präsenz wurde durch Musterungen überprüft und gesichert. Überliefert sind solche durch das Amt Steinheim durchgeführte Musterungen für die Jahre 1587, 1609. 1616 und 1617. Die Sommermusterung des Jahres 1617 hatte für sieben Obertshausener die unangenehme Folge, dass sie für „tauglich“ befunden und in den Türkenkriegen eingesetzt wurden.

Die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges waren – wie überall in Deutschland – auch für unsere Region verheerend. Im Herbst 1634 waren durch Kriegseinwirkung -plündernde Landsknechtshaufen also in Obertshausen von 23 Hofreiten 18 zerstört worden. Die vor den Ausschreitungen der Soldateska aus ihren Dörfern und von den Feldern fliehenden Menschen – Ziel war in erster Linie das nahegelegene und wenigstens einigermaßen sichere Offenbach – bestellten die Äcker notgedrungenermaßen nicht mehr. Hinzu kam die Wildschweinplage, die Tiere zerstörten den Rest der noch intakt gebliebenen Äcker vollends.3).

Die Folge war das Auftreten großer Hungersnöte, wobei das Wenige, was es noch an Nahrungsmitteln gab, zu Wucherpreisen losgeschlagen wurde. Der Preis für das Malter Korn beispielsweise stieg von 2 auf 18 Gulden an, verneunfachte sich mithin. Um den Hunger stillen zu können, wurden Hunde und Katzen, ja sogar Ratten und Kröten verzehrt.

Zu diesen Nöten kam auch noch der Ausbruch der Pest im Jahre 1636, die eine nahezu unübersehbare Anzahl von Todesopfer forderte. Die Region wurde von Menschen fast entblößt, Obertshausen hatte nach Krieg, Hunger und Pest gerade noch zwanzig, Hausen sogar nur sieben Einwohner.4) Die Gegend war in der Tat von dem, was wir unter einer durch Menschen geprägten Kulturlandschaft verstehen, weit entfernt. Grundsätzlich wurde dies in den Jahren nach dem Friedensschluss in Münster und Osnabrück nicht wesentlich anders. Grobe Schäden wurden ausgebessert, die Situation jedoch blieb eher trostlos.

Dennoch scheint der Ortschaft ein gewisser Wert zugemessen worden zu sein, denn der Amtmann zur Zent Steinheim, Graf Philipp Erwein von Schönborn, erwarb wie bereits oben erwähnt – per Kaufvertrag vom 10. November 1664 Obertshausen und Hausen gegen die Zahlung von 9000 Gulden an den – mit ihm verwandten – Mainzer Erzbischof Conrad III., womit eine Grundherrschaft begann, die bis zur Isenburg-Birsteinischen Herrschaft des Jahres 18066) andauerte und schließlich, von 1816 an, Obertshausen direkt dem damaligen Großherzogtum Hessen und damit dem hessischen Staat zuführte.

Wie die Hausener waren auch die Bewohner Obertshausens an ihre Grundherren gebundene Leibeigene, die den entsprechenden Abgabe- und Dienstverpflichtungen unterlagen. Auch Obertshausens Einwohner erlangten im Jahre 1722 eine Teilablösung ihrer Dienstpflichten und Naturalleistungen. In dem entsprechenden Vertrag, dem Frond-Kontrakt, wurde das zu entrichtende Frondegeld auf 125 Gulden festgelegt. Dem Zug der Zeit folgend wurden die Arbeits- und Naturalleistungen immer weitgehender in Geldzahlungen umgewandelt.7)

Erst um 1800 jedoch wurden Freiheiten der Leibeigenen deutlich spürbar. Die Einschränkungen der Handlungsfreiheit wurden aufgehoben, die Abgaben wurden im Wesentlichen auf die Entrichtung der Leibesbede reduziert, die eine Art Personenabgabe“ darstellte und später in die Staatssteuer überging. Trotz der gewonnenen Freizügigkeit standen dem Grundherrn bzw. Leibherrn bei Wegzug aus dem Vermögen des Wegziehenden gewisse Anteile zu. Diese wurden als Manumissionsgeld bezeichnet. In Hessen wurde per Gesetz vom 25. Mai 1811 die bäuerliche  Leibeigenschaft aufgehoben. Allerdings blieb weiterhin ein Frondegeld zu zahlen, der Betrag dieser Staatsfronde betrug für Obertshausen 145 Gulden und 3 Kreuzer. Mit diesen Ereignissen ist jedoch der Bereich der frühen Neuzeit verlassen, das 19. und beginnende 20. Jahrhunderts stellen aufgrund der rasanten Veränderungen einen eigenständig zu betrachtenden Abschnitt der Geschichte dar.

 

Anmerkungen:

1)      vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 39

2)      vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 41

3)      H. Kahl, Schulwesen, S. 16

4)      H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 42

5)      H. Kahl, Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 26

6)      K. Demandt, Geschichte des Landes Hessen, S. 505;

  1. Kahl, S. 26, gibt irrtümlich das Jahr 1803, das Jahr der Säkularisierung der geistlichen Fürstentümer also, an.

7)      H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 30f.

 

 

Hausen in der Frühen Neuzeit

Hausen blieb – wie Obertshausen auch – von den Folgen des „Dreißigjährigen Krieges“ nicht verschont und seit dem Jahre 1626 fanden in dieser Gegend immer wieder und vermehrt kriegerische Auseinandersetzungen statt. Hiermit ist der Durchzug von Soldatenscharen verbunden, die sich „aus dem Land“ – also von Plünderung und Raub – ernährten. Womöglich verschlimmert wurde die Situation dadurch, dass der Dreißigjährige Krieg sich nur insofern auf Deutschland beschränkte, als er hier stattfand, ansonsten waren alle führenden europäischen Mächte zumindest indirekt beteiligt, was dazu führte, dass Deutschland zum Tummelplatz fremder Heere wurde, die keinen Grund sahen, die Zivilbevölkerung zu schonen.1)

In unserer Region versuchten die wehrfähigen Männer des Amtes Steinheim die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die zweihundert Männer, das von einem Kapitän geführte Steinheimer Fähnlein, wurden in Untergruppen aufgeteilt. Zur 3. Korporalschaft gehörten auch die Männer aus Hausen und Obertshausen. 2)

Im November 1631 wurde diese Truppe bei der misslungenen Verteidigung Steinheims gegen die Truppen Gustav Adolfs eingesetzt. Als Folge dieses Sieges wird die Region für längere Zeit schwedisch und muss die durchziehenden Truppen versorgen. In dieser Zeit wechselte das Amt Steinheim – und damit auch Hausen – ganz offiziell den Besitzer. Der Schwedenkönig Gustav Adolf belehnte die Grafen Heinrich Ludwig und Johann Jakob von Hanau mit dem Steinheimer Amt 3). Im Jahre 1635 brach wieder die Pest aus, die Schweden zogen in Folge nach schweren Niederlagen ab und die – katholischen – Truppen des Kaisers übernahmen die Gegend, mit dem Ergebnis, dass sich für die Bevölkerung nichts änderte, auch die Truppen der katholischen Liga plünderten ihre Glaubensgenossen aus.

Die bäuerliche Bevölkerung der Dörfer war den marodierenden Horden am schutzlosesten preisgegeben, woraus sich eine stetige Landflucht entwickelte, die dazu führte, dass den benachbarten Städten ein hoher Bevölkerungszuwachs aufgebürdet wurde. Die Folgen waren nicht nur mangelnde Ernährungslage – allein schon deshalb, weil sich kaum jemand mehr fand, der die Äcker bestellte, sondern auch die Gefahr von Epidemien aufgrund der Massierung von Menschen auf engstem Raum. Dies führte zu extrem hohen Sterblichkeitsziffern vor allem, wenn die Pest ausbrach.4)

Von 1636 an kam es aufgrund der oben geschilderten Auswirkungen der Landfluchtbewegung zu furchtbaren Hungersnöten, denen viele Menschen zum Opfer fielen. Ein Seligenstädter Pfarrbuch, das die dortigen Todesopfer auflistete, enthält für das Jahr 1637 die Eintragung über den Hungertod einer Atleid, Tochter des Konrad Müller aus Hausen.

Der Oberamtmann des Amtes Steinheim vermerkte für das Jahr 1638, dass die Orte seines Verwaltungsbezirkes fast entvölkert seien. Für Hausen wurde die Einwohnerzahl dieses Jahres mit fünfzehn angegeben. Die Trostlosigkeit der damaligen Situation lässt sich aus der weiteren Beschreibung des Steinheimer Oberamtmannes entnehmen. Die wenigen Überlebenden, so berichtete er, seien vertiert, arm, einfältig und trostlos, seit Jahren ohne Pfarrer, Trost und Gottesdienst und stürben wie das Vieh.

Für das Jahr 1644 wird berichtet, dass durchziehende Truppen – vermutlich zumindest in geistig-moralischer Hinsicht in einem kaum besseren Zustand als die Bauern – schonungslos plünderten, den letzten Besitz wegschleppten, den Menschen, die sie noch anträfen, die Kleider vom Leibe rissen und sie drangsalierten.

Die unmenschlichen Verhältnisse wurden keineswegs dadurch verbessert, dass die Region von französischen Truppen besetzt war, denn nach dem in Münster und Osnabrück ausgehandelten sogenannten Westfälischen Frieden war das Gebiet in einem trostlosen Zustand. Hausen war – wie die anderen Maingaudörfer auch – fast menschenleer, die Häuser waren zerstört, die Äcker waren unbestellt und unkrautüberwuchert.

Die katastrophale Situation erforderte außergewöhnliche Maßnahmen. Um die entvölkerte Region wieder mit Menschen zu füllen, erließ der Mainzer Kurfürst und Erzbischof einen Aufruf an alle aus ihrer Heimat Geflohenen und forderte sie zur Rückkehr auf. Auch Neusiedler wurden mit der Aussicht auf besondere Vergünstigungen geworben, denjenigen, die sich im Mainzer Gebiet ansiedeln wollten, wurde für zwei Jahre Abgaben- und Frondefreiheit versprochen.

Dass trotz wiederholter derartiger Appelle nur wenige Flüchtlinge den Weg in die Heimat zurückfanden, mag daran liegen, dass es einfach kaum Überlebende gab, die den Appellen hätten Folge leisten können. Allerdings erlebte die Region – und Hausen – in den Jahren nach Ende des Dreißigjährigen Krieges einen großen Zuzug von Wallonen, die aus der Gegend von Lüttich stammten. Möglicherweise erfolgte deren Zuzug auf die Intervention des Abtes des damaligen Seligenstädter Klosters Leonhard Colchon hin, der selbst aus Lüttich stammte.

Zu den wenigen „alten“ Hausener Namen wie Graff, Hoffmann und Winter traten neue Namen, die allerdings heute in Hausen einen vertrauten Klang haben. Es sind dies – neben anderen – Namen wie BernardBernardus, Coummont – Cummo, Komo, Deberte – Döbert, De Wahl – Dewahl, Picard, Pyrot, Heberer, Guldan und Wallon.

Viele dieser Einwanderer waren – man denke an die niederländisch-belgische Tuchindustrie – Wollweber, die in unserer Region die Tuchmacherei förderten, andere waren „gewöhnliche“ Handwerker, einige sicher auch einfache Landarbeiter. Reichtümer wurden durch diese Neuankömmlinge offenbar kaum nach Hausen mitgebracht.

Dabei scheinen die eingewanderten Wallonen für einen erkennbaren Zeitraum einen Fremdkörper dargestellt zu haben, zumindest unter der Tatsache, dass sie bei Taufen und Hochzeiten in der Regel ihre Landsleute als Paten oder Trauzeugen nahmen, wie dies Seuffert als beweisendes Argument für die wallonische Isolation anführt. Allerdings erhebt sich bei dem deutlichen, durch den Dreißigjährigen Krieg bedingten, Bevölkerungsrückgang die Frage, woher sie einheimische „Paten und Trauzeugen“ hätten nehmen sollen. Dennoch scheint ein deutlicher Anteil der zugewanderten Wallonen die Region wieder verlassen zu haben, ob der Wegzug in die alte Heimat erfolgte, ist allerdings nicht mehr nachzuweisen.

Die Verwaltung des Amtes Steinheim lag von 1637 an in den Händen des aus einem alteingesessenen rheinischen Rittergeschlecht stammenden kurmainzischen Amtmannes Philipp Erwein von Schönborn.6) Dessen Bruder Johann Philipp wurde im letzten Jahr des Dreißigjährigen Krieges – also 1647 – Kurfürst und Erzbischof von Mainz.7)

Dadurch hatte Philipp Erwein eine gute Position in der Region. Mit Hilfe seines Bruders gelang es ihm im Jahre 1661, das Schloss und das Dorf Heusenstamm von den vormals herrschenden Herren von Heusenstamm zu erwerben. Im Jahre 1664 schließlich gelang dem Schönborner sicherlich mit Rückendeckung seines kurfürstbischöflichen Bruders der Erwerb der beiden kurmainzischen Dörfer Hausen und Obertshausen.8)

Verwaltungsvorgänge waren auch in früherer Zeit kaum ohne einen ausgedehnten „Papierkrieg“ zu erledigen, dementsprechend umfasst die Abtretungsurkunde auch mehrere Aktenbogen. Hierin erfahren wir interessante Einzelheiten, etwa die Begründung für den Verkauf, die darin liegt, dass die infolge von Missernten und. den Türkenkriegen eingetretene prekäre Finanzlage solcherlei Schritte erforderlich mache.9) Offenkundig bestanden von Seiten des Domkapitels – ob man hier möglicherweise „Vetternwirtschaft“ vermutete, ist nicht bekannt – zunächst Bedenken gegen den Verkauf, die jedoch ausgeräumt wurden, so dass die beiden Dörfer mit allen Gerechtigkeiten wie „Schatzung, Fronden, Bede, Dienstgeld, Zehnt, Hof- und Mühlenpacht, Jagdgerechtigkeit und – mit Ausnahme der hohen Gerichtsbarkeit, also der für Kapitalverbrechen zuständigen  Instanz 10)– Gerichtsbarkeit gegen die Zahlung von 9000 Gulden in den Besitz der Herren von Schönborn übergingen.

Philipp Erwein von Schönborn, der 1668 starb, konnte sich mithin nur etwa vier Jahre an seiner Neuerwerbung erfreuen, sein Sohn und Erbe11) Johann Erwein verkauft im Jahre 1697 seinen leibeigenen Hausener Untertanen „um ihrem besseren Nutzen, Frommen und Auskommen halber“ – so der Text dieser ältesten in Hausen erhaltenen Urkunde12) – die dortigen Herrn Hecken, die im Gebiet der heutigen Herrnstraße gelegen haben, einschließlich der Holzrechte für 90 Gulden. Es darf bezweifelt werden, dass dieser Verkauf aus den uneigennützigen Motiven heraus geschah, die in der Verkaufsurkunde dargelegt werden, es ging wohl eher darum, einen herrschaftlichen finanziellen Engpass zu beseitigen und ein möglicherweise nicht so einträgliches Stück Land dafür zu verkaufen.

Für die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg gibt es im Jahre 1671 eine erste Überlieferung einer Bevölkerungsübersicht für Hausen, in der sechs Untertanen, drei Beisassen und eine Witfrau aufgelistet werden. Als Untertanen lassen sich die eigentlichen, männlichen Haushaltsvorstände verstehen, die verhältnismäßig die ausgedehntesten Rechte der in Hausen Lebenden hatten. Beisassen waren zwar unter den Schutz der Obrigkeit gestellt, hatten allerdings nicht das Ortsbürgerrecht der eigentlichen Untertanen. Die Abgabenverpflichtungen für die drei Gruppen waren ihrer Stellung gemäß unterschiedlich hoch.13)

Die oben erwähnte Erhebung lässt auf eine Bevölkerungsgröße von ungefähr 40 bis 50 Hausener Einwohnern schließen. Das demographische Phänomen, das nach Kriegszeiten oft ein deutlicher Anstieg der Geburtenrate eintritt, scheint auch für Hausen gültig gewesen zu sein, trotz der durch die Kirchenbücher ausgewiesenen hohen Sterblichkeit lässt sich ein deutliches Bevölkerungswachstum feststellen. Vor allem die Säuglings- und Kindersterblichkeit war aber ausgesprochen hoch.

Die mittelalterliche Leibeigenschaft hielt auch unter Schönborner Herrschaft weiter an, damit einher ging die Verpflichtung zu verschiedenen Abgaben sowie zum Frondienst. Wichtige Abgaben waren:14)

  • Das jährlich zu entrichtende Leibhuhn, auch als Geflügelzins
  • Das Besthaupt, die Abgabe des besten Tieres als Sterbesteuer.
  • Die Heiratsabgabe.
  • Das Ein- und Auszugsgeld, eine Abgabe, die je nach Vermögen – bei Zu- bzw. Wegzug zu entrichten war.
  • Die Leibesbede oder Leibzins, die „eigentliche“ Steuer also.

Die Frondienste oder Fronden unterteilten sich in Hand- und Spanndienste. Folgende Handdienste hatten die Hausener zu leisten:

  • Das Brieftragen auf eine Meile Weges.
  • Das Treiben bei Jagden.
  • Das Mähen und Ernten des Grases auf der Heusenstammer Bornwiese.
  • Das Fällen und Aufmachen des Brennholzes für das Schloss.
  • Das zweijährliche Schuflen (Umgraben) der herrschaftlichen Gärten.
  • Das Herein- und Herausschaffen der Orangerie- Gewächse.
  • Den Handlangen bei der Herstellung (und Unterhaltung?) der herrschaftlichen Gebäude.
  • Das Verspinnen eines Pfundes Flachs durch jede Untertanenfrau.

Zu den Spannfronden gehörten folgende Leistungen:

  • Das Bei- und Wegfahren der herrschaftlichen Pacht­ und Zehntfrucht.
  • Das Holz-, Heu- und Grummetfahren.
  • Das Herbeischaffen der Baumaterialien für die herrschaftlichen Gebäude.
  • Bagage- (Gepäck-) und sonstige Fuhren.

Die Zeit der strengen Durchführung solcher Dienste währte unter der Schönbornschen Herrschaft allerdings nicht mehr allzu lange. Im Jahre 1722 wurden einige der Frondienste per Ablösungskontrakt durch die Einführung von Geldabgaben ersetzt. Nach dieser Regelung musste die Gemeinde Hausen jährlich an die Herrschaft Schönborn 104 Gulden und 57 Kreuzer Frongelder, 31 Gulden und 34 Kreuzer Bedegeld sowie 13 Gulden und 48 Kreuzer Dienstgeld abführen.

Diese Ausgaben wurden auf die in der Gemeinde lebenden Familien umgelegt, wobei sich die Lasten in ihrer Anteiligkeit nach dem Besitz der Bewohner richteten. Zwölf Personen, unter ihnen der Schultheiß, die Gerichtsmänner, die Hirten und Nachtwächter, waren von dieser Abgabe befreit. 15)

Die oben erwähnte Summe umfasste allerdings nicht die Abgabe des Zehnten, der zusätzlich entrichtet werden musste. Diese sich auf die erwirtschafteten Beträge beziehende Abgabe musste von den Hausenern bis ins vergangene Jahrhundert hinein an die Schönbornsche Grundherrschaft abgeliefert werden. Diese Abgaben unterteilten sich wie folgt:

  • Der Getreidezehnte, erhoben auf Roggen, Gerste, Hafer und
  • Der kleine Fruchtzehnte, der von Erbsen, Bohnen, Ölfrüchten und „Welschkorn“ erhoben
  • Der
  • Der

Überdies waren die Hausener noch zu Abgaben an den Lämmerspieler Pfarrer verpflichtet, wobei folgende Abgaben zur Hälfte an den Geistlichen und die Grundherrschaft fielen:

  • Der
  • Der Rüben- und
  • Der
  • Der Gänsezehnte.

Es ist leicht einzusehen, dass diese enormen Belastungen den Bewohnern des Dorfes stark zusetzten. Neben den tatsächlich greifbaren Schwernissen lässt sich sicherlich nachvollziehen, dass die Hausener Bauern ihrer Arbeit nur höchst „demotiviert“ nachgegangen sein dürften. Inwieweit etwas vom Gedankengut der Aufklärung nach Hausen gedrungen ist, mag dahingestellt bleiben, wahrscheinlicher ist es, dass die Nachrichten über die Französische Revolution für eine gewisse Bewegung der Gemüter sorgten. Deutlich werden die Folgen unter der Herrschaft Napoleons. Im Jahre 1806 geht Hausen zunächst in den Besitz der Grafen von Isenburg über, um schließlich als Folge der Verhandlungen im Wiener Kongress 1816 dem Großherzogtum Hessen zugeschlagen zu werden.  16)

Damit allerdings ist der historische Bereich der frühen Neuzeit verlassen. In der Zeit des vergangenen Jahrhunderts ändern sich viele der Lebensumstände der Bewohner Hausens radikal. Das Bauerndorf entwickelte sich zunächst zur Mischform des Arbeiter-Bauerndorfes, um schließlich in diesem Jahrhundert zu einer von in der Industrie und im Dienstleistungsbereich Beschäftigten geprägten Stadt zu werden.

Deshalb lohnt es sich, einen kurzen Blick auf die Verhältnisse im Agrardorf zu werfen. Die Organisation der Bauern in der Bieberer oder Bieger Mark kann als Hinweis darauf angesehen werden, dass diese Bauern ursprünglich Freie waren, die im Zuge der Entwicklung in Abhängigkeit von Grundherren gerieten. Damit verbunden waren der Verlust an Rechten auch zur Nutzung des Markwaldes – zumindest mussten für diese Nutzungen Abgaben geleistet werden – und die Bewirtschaftung von herrschaftlichem Grund und Boden, die auch nur gegen Pachtzins und die Verpflichtung, die herrschaftliche Scholle nicht zu verlassen erfolgen konnte.

Die Folgen der bäuerlichen Hörigkeit waren eine immer deutlichere Belastung dieser Bevölkerungsgruppe. Nicht zuletzt der Erfolg der sogenannten hochmittelalterlichen Ostkolonisation hing mit der Verschlechterung der bäuerlichen Situation zusammen, deren Hoffnung oft nur noch darauf beruhte, durch die verringerten Steuern oder sogar zeitweilige Abgabenfreiheit einen erträglichen Lebensstandard zu erreichen. Allerdings – die Großgrundbesitze der späteren Zeit beweisen es – lief auch hier der Trend gegen die Rechte der Bauern. Bei Betrachtung vieler Märchen, die das Verhältnis zwischen Bauer und Grundbesitzer zum Thema haben, wird die Realität der schlechten bäuerlichen Lebensbedingungen unmittelbar fassbar.

Dennoch lag es nicht nur an der Abhängigkeit der Bauern, dass die Lebensbedingungen in Hausen nicht rosig waren. Die schlechte Bodenqualität des vorherrschenden Sandbodens führte von vornherein zu Mindererträgen. Hauptsächlich erfolgte Roggen-, Futterrüben- und Kartoffelanbau. Daneben erlangte die Kultivierung von Flachs eine gewisse Bedeutung, während Hafer und Weizen nur auf den wenigen Lehmböden erfolgreich angebaut werden konnten.17)

Die schlechte Situation in der Landwirtschaft führte dazu, dass viele der Bauern frühzeitig einer Nebenbeschäftigung nachgehen mussten. Verbreitete Handwerke waren die Webereimeist in Form der Damastweberei, Korbmacherei und Wagnerei. Daneben gab es Schmiede, Maurer, Zimmerleute, Schuhmacher, Schneider und nicht zuletzt die beiden Hausener Müller. Im Zuge der wirtschafliehen Umorientierung wurde die eine der beiden Mühlen zu einer Lohmühle umfunktioniert, in der Eichenrinde zur Ledergerberei notwendige Lohe vermahlen wurde. Eine Kuriosität waren die Hasenhaarschneider, die geschorene Hasen- bzw. Kaninchenwolle wurde in Offenbach zur Filzherstellung verwendet.

Allerdings waren es nicht nur die bescheidenen Bodenbedingungen, die für die schlechte Situation der Bauern in Hausen verantwortlich war. Zu diesen Rahmenbedingungen kam das System der Realteilung, das heißt, der Grund und Boden wurde unter die Nachkommen vererbt, so dass es zu einer Aufsplitterung des Besitzes kam, die letztlich zu einer Verringerung des Einkommens bis hin zu einer Unrentabilität der landwirtschaftlichen Arbeit führte, so dass andere Erwerbsquellen gesucht werden mussten.

Diese Tendenz ließ sich auch durch andere als ackerbauliche Strategien der Landwirtschaft nicht auffangen. Wie es sich auch durch den kargen Boden anbot, spielte in Hausen die Viehzucht immer eine gewisse Rolle. Da die Stallhaltung unüblich war, wurde das Vieh in den Markwald getrieben, woran der Triebweg noch heute erinnert. Für die Hirten gab es ein gemeindeeigenes Hirtenhaus, das erst im Jahre 1914 abgetragen wurde. Aufgrund der Tatsache, dass die handwerkliche „Nebenbeschäftigung“ bereits relativ früh in Hausen aufkam, war der Übergang zu einer anderen als der rein agrarischen Struktur des Ortes, die im 19. Jahrhundert ihren Anfang nehmen sollte, in gewissem Sinne bereits vorgezeichnet.

 

Anmerkungen:

  1. dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Bd. 1, S. 239; S. 253 ff.
  2. dazu und zu Folgendem J. Seuffert, Unser Hausen, S. 10ff.
  3. G. Hoch, Geschichte der Main-Rodgau-Landschaft von der Römerzeit bis zur Entstehung des Kreises Offenbach, S. 17
  4. GPH, 31.12.1958
  5. dazu und zu Folgendem J. Seuffert, Unser Hausen, S. 11f.
  6. GPH, 31.12.1958
  7. K. Demandt, Geschichte des Landes Hessen, S. 267
  8. GPH, 15.1969
  9. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 12
  10. Bayer, Wörterbuch zur Geschichte, S. 177f.
  11. GPH, 1.1969
  12. StAH, X/2/12/48
  13. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 12
  14. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 13
  15. dazu und zu Folgendem J. Seuffert, Unser Hausen, S. 13f.
  16. J. Seuffert, Unser Hausen, S. 14
  17. dazu und zum Folgendem GPH, 15.1.1969

 

 

Flurnamen als historische Erinnerung

Der Begriff der Flur spielt in der heutigen Zeit kaum noch eine praktische Rolle, die Flur im modernen Sinne findet ihre Anwendung eigentlich nur noch im Rahmen der Flurbereinigung oder ist doch zumindest nur in diesem Zusammenhang der jüngeren Generation noch ein Begriff. Dass dies über Jahrhunderte nicht so war, dass mithin Flurnamen als die „Katasternummern“ der Vergangenheit anzusehen sind, ist mittlerweile weitgehend in Vergessenheit geraten. Durch diese praktische Anwendung jedoch sind Flurnamen auch als Geschichtsquellen anzusehen, die im Rahmen der Namenkunde erforscht werden. 1)

Den Begriff der Orts- oder Lokalnamen zu klären, ist unnötig, da sie in ihrer Bezeichnung schon das Objekt, das durch sie benannt wird, mit sich tragen. Im übergeordneten Sinne sammeln diese die eigentlichen Ortsnamen – also Stadt-, Dorf- und Siedlungsnamen – sowie Flur- und Geländenamen. Die Flurnamen sollen hier behandelt werden.

Namengebung setzt voraus, dass eine Benennung erfolgt ist, die – im  Fall von geographischen Bezeichnungen – einen Ort, einen Geländeabschnitt oder ein Grundstück von  seiner Umgebung abheben sollen. Dabei wird in der Regel nicht irgendein „theoretischer“ Name gewählt, der eine reine „Schreibtischtat“ darstellt, sondern eine Benennung  erfolgt unter Berücksichtigung von vorgefundenen Besonderheiten.

Hierbei gibt es nun natürlich auch im Bereich der Flurnamengebung mehrere Muster, nach denen die Benennung einer Flur erfolgen kann. Es lassen sich folgende Ursachegruppen benennen:

  • Naturnamen: Es handelt sich hierbei um Namen, die sich von einer vorgefundenen Besonderheit in der Natur herleiten lassen.
  • Kulturnamen: Diese Bezeichnungen haben eine kultivierende Tätigkeit des Menschen zur Ursache.
  • Ereignisnamen: Hierbei handelt es sich um Benennungen, die auf ein an dieser Stelle vorgefallenes Ereignis zurückgehen.
  • Insassennamen: Diese finden eigentlich nur bei Siedlungsbezeichnungen Verwendung, es mag aber auch vorkommen, dass ein Flurstück nach einem oder mehreren auf ihm siedelnden Menschen bezeichnet wurde. Damit ist vor allem dann zu rechnen, wenn es sich um eine Wüstung, also einen früher bewohnten und dann verlassenen Bereich handelt.

Die letzte Gruppe führt zur Gruppe der namentlichen Unterscheidung zwischen Bewohntheit und Unbewohntheit eines Platzes. Für Flurnamen gilt, dass Bezeichnungen nach dem Kriterium der Bewohntheit wiederum nur bei verlassenen Siedlungen bzw. Gehöften auftreten. Unbewohnte Orte werden durch Stellenbezeichnungen benannt. Hierunter fallen auch Gewässernamen sowie Straßennamen.

Wichtig für den Bereich der Flurnamen ist überdies die Unterscheidung zwischen direkten oder absoluten und indirekten oder relativen Bezeichnungen. Viele Flurnamen sind direkte Bezeichnungen, etwa „Bachgraben“. Zur weiteren Unterscheidung bzw. feineren Unterteilung werden Zusätze ergänzt, um beim Beispiel zu bleiben, „Beim Bachgraben“. In diesem Fall handelt es sich um eine indirekte Bezeichnung.

Es ist deutlich geworden, inwieweit Flurnamen historische Gegebenheiten widerspiegeln und somit als eine Momentaufnahme früherer Verhältnisse angesehen werden können. Ein Gemarkungsplan Hausens aus dem vergangenen Jahrhundert weist insgesamt neun Fluren auf, die jeweils in kleinere Einheiten, die sogenannten Gewanne unterteilt worden waren.

Der Begriff des Gewann auch als Gewand überliefert – als Bezeichnung für eine Flächeneinheit geht letztlich auf eine germanische Wurzel zurück, die sich im heutigen wenden findet. Eine Bedeutungserweiterung bzw. –festlegung fand allerdings bereits in der mittelhochdeutschen Phase der deutschen Sprachentwicklung statt, das Wort gewande stand damals bereits für „Grenze“, „Umkreis“, „Acker“ bzw. „Ackerlänge“. Eigentlich wurde mit dem Begriff der- Ort bezeichnet, an dem der Pflug gewendet wurde, in der Abstrahierung wurde das Wort zur Bezeichnung für die aus gleichwertigen Äckern, Wiesen und anderen landwirtschaftlichen Nutzflächen bestehende Untereinheit der Gemarkung bzw. Flur.

Die Bedeutung der Gewann-Unterteilung lässt sich relativ leicht daran ermessen, dass diese für eine Bevölkerung relevant war, die des Lesens und Schreibens nicht mächtig war. Aus diesem Grunde war es notwendig, den einzelnen Untereinheiten Namen zu geben, die leicht zu merken waren und die auch dann eine Auffindung des zu bearbeitenden Grund und Bodens ermöglichten, wenn – und das war wohl der Normalfall – kein Katasterbuch zur Hand war.

Naheliegend war es daher auch, wo es möglich schien „sprechende“ Namen zu vergeben, die nicht akademisch erfunden worden waren, sondern sich an tatsächlichen Gegebenheiten orientierten. Aus diesem Grunde bieten die alten Gewann-Bezeichnungen auch deutliche Hinweise auf Verhältnisse, die wir heute nicht oder nur noch kaum erkennbar vorfinden können. Dies mögen topographische Besonderheiten sein oder die Erinnerung an alte Besitzverhältnisse, der historische Aussagewert dieser Bezeichnungen sollte in jedem Fall nicht unterschätzt werden.4)

Für die Menschen in der Zeit, als Flurnamen aktuell vergeben wurden oder doch zumindest eine aktuelle Bedeutung besaßen, war es wichtig, diese zu sammeln, was sich in Zeiten der Schriftlichkeit durch entsprechende Aufzeichnungen bewerkstelligen ließ. In Obertshausen wurde zwischen 1740 und 1754 im sogenannten Ackerbuch über das Obertshäuser Schirmen­Feld sorgfältig Buch geführt.5)

Diese Aufzeichnungen erwähnen auch offenbar ehrenamtlich tätige Bauern, die als Schöffen, genauer sogenannte land Scheyder und Stein setzer tätig waren und denen die Vermessung, Benennung und Überwachung der Vergabe von Landstücken oblag.

Die Aufgaben dieser „Stein setzer“ waren sorgfältig festgeschrieben: „…darum alles muss zu Messen, Hofreithen, Äcker, Wiesen und Gärten. So ist die Messerey in diesem Buch in den sogenannten Schirmmen felt Vorgenommen worden.“ Weiter war festgelegt, daß es “ …Pflicht ist, auf genehmhaltung des Hoch Edellgebohrenen  Hochgelahrten  Hernn Helm, Sr. Excellence Ihre Frau. Gräffin von Schönborn Hochverordneter Herr Ambts Sesretari die Länderey zu. Obertshausen wiederum de novo alles auß zu Messen.6)

Neben den „Ehrenamtlichen“ waren also offenkundig noch „Profis“ mit den Vermessungsaufgeben betraut, die sie im Auftrag der Schönbornsehen Herrschaft durchzuführen hatten, wohl damit alles mit rechten Dingen zuging. Ein Name eines „Hauptamtlichen“ ist überliefert: Johann Hennrich junior, Beschwohrener Geometra.7)

Die Bedeutung der korrekten Landvermessung lag in der Art der wirtschaftlichen Betätigung – der Landwirtschaft – begründet. Einerseits ist es sicherlich so, dass die als bodenständig geltende bäuerliche Bevölkerung zu Grund und Boden eine besondere Beziehung hatte, Genauigkeit bei Vermessungsarbeiten eine quasi „mystische“ Bedeutung oder doch zumindest eine solche Note bekamen, andererseits gab es jedoch ganz praktische Gründe, die eine Genauigkeit der entsprechenden Vermessungsarbeiten erforderlich machten. Die Vermessung des Ackerlandes bildete für den Grundherren die Basis zur Festsetzung der durch die Bauern zu leistenden Abgaben.

Aus diesem Grunde war der „offizielle“ Landvermesser auch ein „Beschwohrener“, auf dessen korrekte Arbeit sich der Grundherr – im Falle Obertshausens und auch Hausens der Herr von Schönborn – verlassen können musste. Äußeres Zeichen des erfolgten Vermessungsvorgangs war die Setzung eines Acker- oder Feldsteins. Dieses Zeichen einer Vermessungsgrenze wurde als unverrückbar angelegt, so dass sich derjenige, der den Stein von seinem festgelegten Platz bewegte, eines schweren Vergehens schuldig machte und dafür hart bestraft wurde.

Trotz der „modernen“ Methode der Vermessung, hielten sich die überlieferten Namen. Einige der Hausener Flurnamen sind auch heute noch durchaus verständlich, ohne dass großangelegte sprachgeschichtliche Forschungen vonnöten wären.8)

  • Die Herrnhecken ebenso wie das Grabenwäldchengewann, in dem das Gräfenwäldchen steckt, deuten die Besitzverhältnisse der entsprechenden Flächen an, die ursprünglich in grundherrlichem Besitz waren.
  • Die Abtswiesen ebenso wie auch Das Paradies oder Das Paradeiswäldchen deuten auf kirchlichen Besitz hin.
  • Der Alte Hof – weiter oben wurde bereits darauf hingewiesen – wurde vermutlich nach einem aufgelassenen Gehöft benannt, das sich auf diese Weise in der Erinnerung der Bewohner
  • Der Viehtrieb und Im alten Viehtrieb erinnern an die Hausener Weidewirtschaft, wobei sogar eine zeitliche Abfolge in der Benutzung der beiden Viehpfade zu erkennen
  • Auch die Gänseweide erinnert an die Zeiten, als in Hausen die Gänse noch hinausgetrieben
  • Die Samenwiesen erinnern daran, dass in früherer Zeit der fällige Grundzins für diese Wiesen in Ölsamen (Raps oder Mohn) zu entrichten
  • Der Gumbertsee – Gumbe Gumpe hat die Bedeutung von „Tümpel“ – weist ebenso wie die Gewanne Auf der Thronlache oder Auf die Kaltenbadwiesen darauf hin, dass diese Flächen früher feucht und mit kleinen Gewässern durchsetzt waren.
  • Die Tränkwiese bezeichnet das Gewann, in dem in früherer Zeit die Viehtränke der Hausener Hirten

Obertshausens Flurnamen lassen sich teils auch heute noch ohne größere Schwierigkeiten erklären, wobei es fraglich ist, wie lange dies in einer Welt, die durch einen permanenten technischen Fortschritt gekennzeichnet ist, noch der Fall sein wird.

Es ist hier natürlich nicht der Ort, alle Obertshausener Flurnamen aufzuzählen und ihre Bedeutung zu erklären. Einige Hinweise und Aufzählungen allerdings sollen gegeben werden:

  • Die Forstwiesen, dieses Stück Land durfte der Förster als Bestandteil seiner Entlohnung
  • Der Schirm oder die Schirme weisen auf Besonderheiten der Waldwirtschaft hin. Im jungen Wald verblieben ältere Hochwaldbäume um diesen quasi zu schützen bzw. zu „schirmen“.
  • Beim Kühlenbusch handelt es sich vermutlich um ein von Hecken und Büschen eingesäumtes Landstück, das in der Sommerhitze Schatten bot.
  • Die Haferwiesen deuten ganz konkret auf den Versuch hin, Hafer anzubauen.
  • die Deutschherrnwiesen und Deutschherrnäcker befanden sich, der Name sagt es, früher im Besitz des Deutschen Ordens.
  • Die Weißfrauenäcker deuten auf den Besitz durch das Kloster Patershausen hin, das im Jahrhundert Sitz von den weißgekleideten Zisterzienserinnen war.
  • Die Tränkewiesen, die Brunnengärten, die Brunnenäcker, Die Schwarze Lache, Die Säuborn, die Neuen Borngärten sowie Auf den Fluss deuten auf natürliche Feuchtigkeit und kleinere Wasserstellen bzw. Wasserläufe hin, die oft für die Viehtränke genutzt wurden.
  • Namen wie Im Hasenwinkel, die Gänsegärten oder

Ochsenruh sind leicht zu erklären, dort gab es viele Kaninchen bzw. wurden die Gänse oder die Rinder zur „Weide“ getrieben.

  • Die neuen Lohäcker, Im Loh, Das Loh, Das lange Loh, Der Lohwingert deuten darauf hin, dass es sich bei den Flächen um ursprünglich mit niederem Holz bewachsene Waldlichtungen gehandelt haben muss, das Wort „Loh“ bezeichnet lichte Waldgebiete.10) Beim „Lohwingert“ scheint überdies Wein gezogen worden zu sein; „Wingert“ bedeutet „Weingarten“.
  • Brühlfeld aber auch Im Herrenprühl und Zwischen dem Herrenprühl deuten auf den Bestandteil „·-brühl“ im Sinne von „feuchte Wiese“, „feuchter Platz“ hin, die allerdings bei der Flurnamenvergabe insofern nicht „wertfrei“ ist, als das „Brühl“ im Allgemeinen immer die Wiesen des grundherrlichen Salhofes meint, was durch die genauere Bezeichnung „Herrenprühl“ auch für Obertshausen deutlich wird.11)
  • Die Herrnäcker deuten auf alte Besitzverhältnisse hin, in denen das entsprechende Landstück grundherrschaftliches Eigentum
  • Auf die Heiligenwiesen, Die Heiligenwiesen, Die

Laubäcker und das Pfaffenahl deuten auf Flächen, der sich einstmals in kirchlichem Besitz befand.

  • Neben der Sandkaute bezeichnet das Grundstück, das sich neben der damaligen gemeindeeigenen Sandgrube befand.
  • Funktional zu deuten sind auch Namen wie etwa Auf den Rembrücker Weg, Auf den Häuser Weg oder Auf den Mühlheimer Pfad, mit solchen Namengebungen wurde schlicht die Lage der entsprechenden Äcker an der Gemarkungsgrenze zu den im Namen erwähnten Nachbarorten angegeben.
  • Die langen Steinäcker, durchs Steinsee oder Das Mittelgewann, im Steinsee deuten auf „steinreiche“ Böden hin, die entsprechend mühselig zu bearbeiten
  • Die Hirtenwiesen bedürfen keiner Erklärung, ebenso wie Im Birkengrund oder Die Eichenstückäcker, die Bedeutung dieser Flurnamen ist auch heute noch unmittelbar
  • Groteske Namen wie etwa Im Pfannenstiehl, In den langen Betten oder Die Kleiderlochhecke deuten an, dass unsere Vorfahren im Erfinden von Namen mitunter sehr erfinderisch waren und damit für uns heutige eine „vernünftige“ Deutung sehr schwer

Flurnamen „sprechen“ also, wenngleich sie heute keine praktische Funktion mehr erfüllen, sind sie ein Relikt früherer Verhältnisse, über die sie Zeugnis ablegen. Als historische Quelle sind sie aus diesem Grunde sehr wertvoll, zumal viele der Namengebungen „aus dem Volk“ kamen und somit ein Stück tiefer blicken lassen, als dies bei „offiziellen“ Schriftzeugnissen meist der Fall ist.

 

 

Anmerkungen:

1)      vgl. dazu und zum Folgenden A. Bach, Deutsche Namenkunde, 11,1, S. 1ff.
J. Seuffert, S. 103

2)      F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, S. 255

3)      G. Koß, Namenforschung, S. 95

4)      vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 82ff.

5)      zitiert nach H. Kahl, S. 82

6)      vgl. H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 83

7)      nach J. Seuffert, Unser Hausen, S. 104

8)      nach H. Kahl, Zwischen Einst und Jetzt, S. 88ff.

9)      F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 445

10)    F. Kluger Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 104

11)    vgl. A. Bach, Deutsche Namenkunde, 11,1, S

 

 

Alte Währungen und Maßeinheiten:

In alten Zeiten gab es nicht nur andere Sitten, als wir sie heutzutage gewöhnt sind, auch andere Währungseinheiten und Maßsysteme fanden Verwendung. Erstaunlich hierbei ist die häufige Verwendung von „krummen“ Untereinheiten, etwas, was uns Heutige an das metrische System und dezimale Unterteilungen Gewohnte überrascht und auch verwirrt.1)

Zwei grundsätzliche Währungssysteme fanden seit dem späten Mittelalter und in der Neuzeit in unserem Gebiet ihre Verwendung:

-Die Hellerwährung2): Sie wurde vor der späteren Guldenwährung eingeführt und bestand parallel zu ihr bis ins Jahr 1650. Es gab das Pfund Heller, das aus jeweils 240 Hellern bestand. Zwölf Heller waren 1 Schilling wert, 1 Pfund Heller demnach 20 Schillinge. Der Schilling war allerdings keine Münzeinheit, sondern – vergleichbar etwa mit dem modernen Ecu – lediglich eine Verrechnungswährung. Ein Blick auf die Unterteilungen der Hellerwährung macht mit der erstaunlichen Tatsache vertraut, dass hier Unterteilungen nach dem Duodezimalsystem vorgenommen wurden, das uns vertraute und so „natürlich“ erscheinende Zehnersystem also nicht verwendet wurde.

Die Guldenwährung3): Diese Währung wurde aus Italien genauer gesagt Florenz – übernommen. In diesem

Zusammenhang sei an die Vorreiterrolle der Italiener

oder besser gesagt der führenden Bürgerschicht in den italienischen Städten für das Bankensystem erinnert, die sich unter anderem durch den Begriff des Lombardsatzes ein Denkmal gesetzt hat. An die Herkunft der Florentiner Guldenwährung erinnert die in Rechnungen zu findende Abkürzung fl für den Gulden.

Wie der Name schon sagt, war der Gulden ursprünglich eine Goldmünze, später gab es allerdings auch paradoxerweise Silber-Gulden. 1 Gulden unterteilte sich in 60 Kreuzer, 1 Kreuzer war mit 6 Hellern zu verrechnen. Auch hier waren es eher ungewöhnliche Unterteilungen, die auf der Grundeinheit sechzig bzw. sechs beruhten.

Bis ins vergangene Jahrhundert hinein waren noch andere Münzeinheiten gültig, der Dukaten, eine Goldmünze von 23 2/3 Karat sowie der Taler der zuletzt einen Wert von 120 Kreuzern hatte, also sozusagen ein „Doppelgulden“ war. Im Zuge der Etablierung des deutschen Kaiserreiches nach 1871 verlor der Gulden im Jahre 1875 seine Gültigkeit. Eingeführt wurde die neue Reichsmark ­ Währung, wobei ein Gulden gegen 1,71 Reichsmark eingetauscht wurde.

Kaufkraftverluste gab es bereits in früherer Zeit. Deutlich wird dies unter anderem am Gulden, dessen Verfall durch die Jahrhunderte deutlich ist. Für einen Gulden erhielt man 1539 etwa 80 Pfund Schwarzbrot, 1586 nur noch 40 Pfund Schwarzbrot und 1626 während des Dreißigjährigen Krieges nur noch 14 Pfund Schwarzbrot. Nach einer „Erholungsphase“ verlor der Gulden wieder an Wert. 1868, also sieben Jahre vor Abschaffung der Guldenwährung erhielt man noch 18 Pfund Schwarzbrot, während es um 1970 – natürlich unter der Maßgabe, dass der Gulden noch als Zahlungsmittel zulässig gewesen wäre – lediglich für 2,5 Pfund gereicht hätte.

Auch die Längenmaße waren weit von der heutigen Normung entfernt. Allein aus den Bezeichnungen ergibt sich, dass diese zunächst aus Erfahrungswerten abgeleitet und mit „natürlichen“ Maßstäben gemessen wurden. Maße waren die Rute, die zwischen 2,8 und 5,3 Metern schwankte. Die Rute unterteile sich in zwölf Schuh oder Fuß, deren Länge circa 28 Zentimeter betrug, ein Fuß wiederum setzte sich aus zwölf Zoll zusammen, die jeweils 2,4 cm maßen. Die Elle ist ein Naturmaß, dessen Ausdehnung ebenfalls schwankte.

An Flächenmaßen war der Morgen am gebräuchlichsten, der ursprünglich das Stück Land bezeichnete, das an einem Vormittag mit einem gewöhnlichen Gespann zu pflügen war bzw. von einem Mann im selben Zeitraum abgemäht werden konnte. Der Morgen – 1904 m2 – unterteilte sich in vier Viertel, die jeweils 476 Quadratmeter ausmachten. Das Viertel unterteilte sich in 40 Flächenruten von jeweils 11,9 m2 Ausdehnung. Der „aktuelle“ Morgen umfasst übrigens 2500 Quadratmeter oder 25 Ar; ein Hektar umfasst vier Morgen. Eine längst veraltete Flächeneinheit ist die Hufe oder Hube4), eine Einheit von unterschiedlicher Größe, die jedoch durchschnittlich 30 Morgen umfasste.

Der Holzeinschlag wurde in Klaftern gemessen, wobei ein Klafter 3,386 Kubikmetern entspricht. Für die Messung der Ernteerträge wurden Hohlmaße verwendet. Höchste Einheit war der Malter (128 Liter), der in 4 Simmer (32 Liter) unterteilt war. Die Simmer bestanden aus jeweils vier Kumpf (8 Liter), die sich in vier Gescheide (2 Liter), diese wiederum in 4 Mäßchen bzw. Schoppen (0,5 Liter) unterteilten. Für die Messung von Flüssigkeiten wurde ein anderes System verwendet. Das Fuder, das heute noch im Weinbau Verwendung findet und 12.000 Liter umfasst. Ein anderes altes Flüssigkeitsmaß ist das Ohm, dessen Umfang zwischen 150 und 160 Litern schwankt. Das Ohm unterteilt sich in 10 Maß, das Maß besteht aus vier Schoppen.

Einzelerzeugnisse aus der landwirtschaftlichen Produktion – zu denken ist etwa an Eier – wurden durch Zählmaß erfasst. üblich waren das Schock (60 Einheiten) und das Mandel, das aus fünfzehn Einheiten bestand.

Anhand solcher alter Maßeinheiten wird deutlich, wie weit wir uns heutzutage wirklich von den natürlichen Grundlagen entfernt haben, die in früherer Zeit noch eine tatsächliche Grundlage des Lebens darstellten. Die Meßsysteme früherer Tage waren aus dem alltäglichen Erfahrungsschatz geboren und entsprachen den Bedürfnissen der bäuerlichen Bevölkerung. Die heutigen Maßeinheiten sind – zumindest überwiegend „akademische“ Erfindungen, die in keiner Verbindung zur Natur mehr stehen.

 

 

Anmerkungen:

1)      vgl. dazu und zum Folgenden J. Seuffert, Unser Hausen, S. 105f.

2)      E. Bayer, Wörterbuch zur Geschichte, S. 214

3)      E. Bayer, Wörterbuch zur Geschichte, S. 199f.

4)      E. Bayer, Wörterbuch zur Geschichte, S. 234f